Die Demokratie wird zum Regierungsstandard für erhebliche Teile der Welt

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ein dramatischer Wandel in der Weltpolitik vollzogen. Zwischen den frühen siebziger Jahren und der Mitte der ersten Dekade dieses Jahrhunderts fand das statt, was Samuel Huntington die „dritte Demokratisierungswelle“ nannte: Die Anzahl der repräsentativen Demokratien erhöhte sich weltweit von rund 35 auf über 110. Francis Fukuyama stellt fest: „In diesem Zeitraum wurde die liberale Demokratie zum Regierungsstandard für erhebliche Teile der Welt, jedenfalls dem Bestreben nach, wenn auch nicht unbedingt in der Realität.“ Parallel zu diesem Wandel politischer Institutionen wuchs die wirtschaftliche Interdependenz zwischen den Staaten, also das, was man als Globalisierung bezeichnet. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

Die Globalisierung galt als Hauptantriebskraft des Wohlstands

Die Globalisierung wurde von liberalen Wirtschaftsstrukturen wie dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen und der sich daran anschließenden Welthandelsorganisation untermauert. Als Ergänzungen dienten regionale Handelsvereinbarungen in Form der Europäischen Union und des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens. Während dieser Periode übertraf die Wachstumsrate des internationalen Handels und der internationalen Investitionen jene des globalen Bruttosozialprodukts.

Die Globalisierung galt allgemein als Hauptantriebskraft des Wohlstands. Zwischen 1970 und 2008 vervierfachte sich der weltweite Ertrag an Gütern und Dienstleistungen. Francis Fukuyama ergänzt: „Das Wachstum erstreckte sich praktisch auf alle Regionen, während sich der Anteil der unter extremer Armut leidenden Menschen in den Entwicklungsländern von 42 Prozent der Gesamtbevölkerung im Jahr 1993 auf 17 Prozent im Jahr 2011 verringerte. Der Anteil der Kinder, die vor ihrem fünften Geburtstag starben, ging von 22 Prozent im Jahr 1960 auf weniger als 5 Prozent im Jahr 2016 zurück.“

In Indien und China entstanden neue riesige Mittelschichten

Die liberale Weltordnung kam jedoch nicht allen zugute. In vielen Ländern, besonders in den wohlhabenden Demokratien, nahm die Ungleichheit erheblich zu, was bedeutete, dass etliche Vorteile des Aufschwungs in erster Linie einer durch ihre Ausbildung definierten Elite zufielen. Mit dem wirtschaftlichen Wachstum wurden viele Güter leichter verfügbar, es war mehr Geld im Umlauf, und die Mobilität der Bevölkerung erhöhte sich – all das stiftete auch Unruhe.

In Entwicklungsländern fanden sich Dorfbewohner, die zuvor nicht einmal einen Stromanschluss gehabt hatten, plötzlich in großen Städten wieder, wo sie fernsehen konnten und durch die allgegenwärtigen Mobiltelefone mit dem Internet verbunden waren. Die Arbeitsmärkte passten sich den neuen Gegebenheiten an und zwangen Abermillionen Menschen, auf der Suche nach besseren Chancen für sich selbst und ihre Angehörigen oder auf der Flucht vor unerträglichen Verhältnissen in der Heimat, internationale Grenzen zu überqueren. In Ländern wie China und Indien entstanden neue riesige Mittelschichten, doch deren Tätigkeit ersetzte die Arbeit, die zuvor die etablierten Mittelschichten in der entwickelten Welt verrichtet hatten. Quelle: „Identität“ von Francis Fukuyama

Von Hans Klumbies