In seinem Buch „Auf die Schiffe, ihr Philosophen!“ gibt Christian Niemeyer zu Friedrich Nietzsches 175. Geburtstag eine gründliche Einführung in das Wichtigste an seinem Werk, wobei er sich auf Intention und Wirkung konzentriert. Im Teil A geschieht dies in Gestalt einer kleinen Werkschau: Sie umfasst die Analyse des Wahrheitsbegriffs bei Friedrich Nietzsche, seine Kritik an der Metaphysik sowie das ihr innewohnende Konzept einer „anderen Vernunft“. Vorgestellt werden zudem seine psychologische Philosophenkunde, sein Konzept einer „neuen Aufklärung“ à la Voltaire, seine Abgrenzbarkeit zu Richard Wagner sowie sein Konstrukt des Übermenschen. Im Teil B erläutert Christian Niemeyer die Nietzscherezeption von ihren Anfängen über das Nietzschebild im Dritten Reich bis hin zur Interpretation von Friedrich Nietzsches Werk nach 1945. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.
Friedrich Nietzsche spaltete seine Leserschaft
Der Autor versäumt es nicht auf Friedrich Nietzsches Position gegenüber dem „Hitlervorläufer“ Theodor Fritsch einzugehen und legt damit den Grundlagen für einen Abschnitt zur aktuellen Lesart Friedrich Nietzsches als Neoliberalen sowie als angeblichen Ideengeber des Rechtspopulismus, dem als Zugabe, ein Kapitel zu Nietzsche und Donald Trump folgt. Im Prolog erfährt der Leser, dass Nietzsche als „Dynamit“ die Geschichte der Menschheit in zwei Epochen spalten wollte, in eine vor und in eine nach ihm.
Tatsächlich spaltete der Friedrich Nietzsche vor allem seine Leserschaft: in einige, die ihm in allen folgten; und andere, die ihn glatt für verrückt erklärten; und schließlich in die große Mehrheit jener, die ihn einfach zu den Akten legten. In der deutschen Philosophie lehnten ihn die meisten Fachgelehrten als „maßlos, wirr und politisch gefährlich“ ab. In seinem Buch „Auf die Schiffe, ihr Philosophen!“ behandelt Christian Niemeyer bevorzugt die hellen Seiten des umstrittenen Philosophen, wobei die dunklen allerdings nicht außer Acht gelassen werden.
Bei Friedrich Nietzsche lag Genie und Wahnsinn eng zusammen
Die Vokabel „Genie“ darf laut Christian Niemeyer fraglos nicht auf jedes einzelne Werk oder jeden einzelnen Satz Friedrich Nietzsches erstreckt werden. Zumal in so manchem seiner Frühwerke nicht das Genie zu bewundern ist, sondern ein Autor, der sich als Wagnerianer zu beglaubigen sucht und in dieser seiner Eigenschaft nur von der dabei offenbar stattgehabten Vaterübertragung begriffen werden kann. Nicht minder prekär und teilweise peinlich ist für Christian Niemeyer jener späte Nitzsche, dessen Ehrgeiz dahin zu gehen scheint, als politisch inkorrekter Autor zu brillieren.
Als Nietzscheforscher stellt sich Christian Niemeyer als glücklicher Mensch vor, wenigstens im Blick auf das rein Quantitative. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Leseaufwand keinesfalls mit dem Deutungsaufwand gleichzusetzen ist. Und dass dieser erheblich ist, zeigt schon der eigentliche „Fall Nietzsche“, also der enge Zusammenhang zwischen Genie und Wahnsinn, aber auch der Umstand, dass manche Formulierungen – etwa aus dem „Zarathustra“ – „dunkel und verborgen und lächerlich“ sei „für Jedermann“, weil es um einen „persönlichen Sinn“ gehe, den man folglich entschlüsseln können muss. Auf diesen Sachverhalt zielt wohl Friedrich Nitzsches Bekenntnis, er tue eben „Alles“ dafür, „schwer verstanden zu werden.“ Christian Niemeyer bringt Licht ins Dunkel.
„Auf die Schiffe, ihr Philosophen!“
Friedrich Nietzsche und die Abgründe des Denkens
Christian Niemeyer
Verlag: Karl Alber
Gebundene Ausgabe: 485 Seiten, Auflage: 2019
ISBN: 978-3-495-49044-0, 39,00 Euro
Von Hans Klumbies