Nervensysteme schufen Bewusstsein und Geist

Nervensysteme erschienen in der Geschichte des Lebendigen erst spät auf der Bühne. Antonio Damasio erklärt: „Sie waren nichts Primäres, sondern tauchten auf, um dem Leben zu dienen, um Leben auch dann noch möglich zu machen, als die Komplexität der Lebewesen ein hohes Maß an Funktionskoordination erforderte.“ Und ja, Nervensysteme trugen dazu bei, bemerkenswerte Phänomene und Funktionen zu erzeugen, die es vor ihrer Entstehung nicht gab. Dabei handelt es sich um Dinge wie Gefühle, Geist, Bewusstsein, explizites Überlegen, eine verbale Sprache und Mathematik. Die neuronalen Neuerungen bewirkten, dass sich die Regulation der Homöostase optimierte und das Leben mit größerer Sicherheit aufrechterhalten werden konnte. Antonio Damasio ist Dornsife Professor für Neurologie, Psychologie und Philosophie und Direktor des Brain and Creativity Institute an der University of Southern California.

Lebewesen existieren seit vier Milliarden Jahren

Das Nervensystem ist ein prächtiger „nachträglicher Gedanke“ einer geistlosen, gedankenlosen und doch umwälzend vorausschauenden Natur. Die Geschichte der Lebewesen begann vor vier Milliarden Jahren und schlug verschiedene Wege ein. Für den Zweig, der zum Homo sapiens führte, stellt sich Antonio Damasio gern drei abgegrenzte, aufeinander folgende Evolutionsstadien vor. Ein erstes Stadium ist durch das „Sein“ gekennzeichnet. Das zweiten ist vom „Fühlen“ beherrscht.

Charakteristisch für das dritte ist das „Wissen“ in einem sehr allgemeinen Sinn des Wortes. Seltsamerweise kann man in jedem heutigen Menschen eine Entsprechung zu jedem der drei Stadien ausmachen. Und sie entwickelten sich auch in der gleichen Reihenfolge. Die Stadien von Sein, Fühlen und Wissen entsprechen unterscheidbaren anatomischen und funktionellen Systemen. Diese existieren im Menschen nebeneinander und man kann sie im Erwachsenenalter je nach Bedarf heranziehen.

Das Bewusstsein erleuchtet den Geist

Antonio Damasio erläutert: „Die einfachsten Lebewesen werden geboren, werden erwachsen, verteidigen sich und sterben schließlich am hohen Alter.“ Dabei handelt es sich um Lebewesen mit nur einer Zelle oder sehr wenigen Zellen. Als Einzelwesen sind sie in er Lage, sich in ihrer Umwelt die besten Plätze für ein gutes Leben auszusuchen und sich durchs Leben zu schlagen. Dabei müssen sie ohne die Hilfe eines Geistes auskommen, von einem Bewusstsein ganz zu schweigen. Auch ein Nervensystem besitzen sie nicht.

Ihren Entscheidungen fehlen sowohl Voraussicht als auch Reflexion. Ohne einen Geist, den ein Bewusstsein erleuchtet, kann man weder vorausdenken noch reflektieren. Antonio Damasio stellt fest: „Solche Wesen handeln vorwiegend auf der Grundlage leistungsfähiger chemischer Prozesse.“ Eine fein abgestimmte, aber verborgene Fähigkeit lenkt sie. Diese ist auf die Vorgaben der Homöostase eingestellt. Ergänzt wird dies durch eine Minimalform der Kognition, die ihren Ausdruck beispielsweise im „Spüren“ von Hindernissen findet. Quelle: „Wie wir denken, wie wir fühlen“ von Antonio Damasio

Von Hans Klumbies