Zuwanderung muss nicht immer zu Widerstand führen

Die Beziehung zwischen Zuwanderern und fremdenfeindlichen politischen Bewegungen ist nicht immer ein direkte. Anne Applebaum erläutert: „Zum einen muss Zuwanderung selbst aus Ländern mit einer anderen Religion oder Kultur nicht immer eine Gegenreaktion auslösen. In den 1990er Jahren kamen muslimische Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Ungarn. Dies hat nicht allzu viel Reibung verursacht.“ Auch in Polen stießen muslimische Flüchtlinge aus Tschetschenien nicht auf nennenswerten Widerstand. Die Vereinigten Staaten haben in den vergangenen Jahren Flüchtlinge zum Beispiel aus Russland, Vietnam, Haiti und Kuba aufgenommen. Dies löste keine größeren Diskussionen aus. Der Widerstand gegen Zuwanderer lässt sich auch nicht immer auf ihren mangelnden Integrationswillen schieben. Anne Applebaum ist Historikerin und Journalistin. Sie arbeitet als Senior Fellow an der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University.

Mit Fremdenhass kann man Politik machen

So wurde der Antisemitismus in Deutschland ausgerechnet in dem Moment am größten, als sich die Juden erfolgreich integrierten. Teilweise traten sie sogar zum christlichen Glauben über. Mehr noch, es entsteht der Eindruck, dass ein Land heute gar keine Zuwanderer und die damit verbundenen Problem haben muss, um mit Fremdenhass Politik zu machen. So gibt es zum Beispiel in Ungarn kaum Ausländer. Doch es gelang der Regierungspartei trotzdem, erfolgreich die Fremdenfeindlichkeit anzuheizen.

Anne Applebaum stellt fest: „Wenn sich Menschen über die Zuwanderung erbosen, dann meinen sie also nicht immer etwas, was sie selbst erlebt und erfahren haben. Sie meinen etwas Imaginäres, das sie fürchten.“ Dasselbe trifft auf Ungleichheit und Einkommensverluste zu, eine weitere Quelle der Angst, Wut und Polarisierung. Zuwanderung und wirtschaftliches Leid sind sehr wohl ein ehrlicher Auslöser für Wut, Verzweiflung und Konflikt. Doch als umfassende Erklärung für die politischen Umbrüche und den Aufstieg einer ganz neuen Klasse von politischen Akteuren reichen sie nicht aus.

Viele Menschen bevorzugen die Einheit

Es gibt ein Revival der Nostalgie, die Enttäuschung über die Leistungsgesellschaft und die Attraktivität von Verschwörungstheorien. Des weiteren könnte die Ursache zumindest zum Teil in der auf Streit und Rechthaben ausgelegten Natur des heutigen politischen Diskurses selbst zu finden sein. Nämlich in der Art vieler Menschen, über politische Themen zu lesen, zu denken und zu sprechen. In geschlossenen Gesellschaften kann die Ankunft der Demokratie komplex und furchteinflößend sein.

Der Lärm des Streits und das fortwährende Hin und Her widerstreitender Meinungen kann Menschen verärgern. Denn sie wollen lieber in einer Gesellschaft leben, die von einem einzigen Narrativ zusammengehalten wird. Anne Applebaum weiß: „Ein erheblicher Teil der Bevölkerung bevorzugt die Einheit. Das erklärt auch, warum seit 1789 so viele liberale und demokratische Revolutionen mit Diktaturen enden. Diese erfreuen sich großer Unterstützung.“ Isaiah Berlin beobachtete, dass nicht alles, was Menschen für gut und wünschenswert halten, auch miteinander vereinbar ist. Quelle: „Die Verlockung des Autoritären“ von Anne Applebaum

Von Hans Klumbies