Leonardo da Vinci ist unverwechselbar

Viele Künstler haben die Hoffnung, dass sie unverwechselbare, gar unvergängliche Spuren hinterlassen. Rüdiger Safranski blickt zurück: „Erst in der Renaissance wird es üblich, die Bilder zu signieren. Leonardo da Vinci bewahrt sogar seine Entwürfe auf, manche davon ebenfalls signiert.“ Es soll möglichst wenig verloren gehen, denn darauf kommt es an: irgendeine Erinnerung im Geist der Sterblichen zu hinterlassen. Leonardo da Vinci schreibt: „Auf dass dieser unser armseliger Lebenslauf nicht umsonst verfließe.“ Das ist noch recht bescheiden formuliert im Vergleich zu anderen Bekundungen gesteigerten künstlerischen Selbstbewusstseins. Tizian erzählte gerne, wie Kaiser Karl V. bei einer Porträtsitzung ihm den Pinsel aufgehoben habe, der ihm entglitten war. Rüdiger Safranski arbeitet seit 1986 als freier Autor. Sein Werk wurde in 26 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet.

Der Künstler selbst wird Genius

Ein Jahrhundert früher wirkten die bildenden Künstler zumeist noch anonym im Schatten ihrer Gilden, Zünfte und Bruderschaften. Jetzt treten sie hervor. Die Kunst emanzipiert sich vom Geist des Handwerks. Sie hat etwas ganz Individuelles anzubieten. Etwas treibt in ihr, das höher ist als alle Vernunft. Es ist nicht nur, wie in der Tradition, die religiöse Höhe. Die Kunst hat jetzt ihren eigenen Himmel, und der Künstler selbst wird Genius. In der Epoche der Renaissance kommt der künstlerische Geniekult auf.

Rüdiger Safranski weiß: „Raffael wurde bereits zu Lebzeiten der „göttliche“ genannt. An ein religiöses Mandat war dabei nicht gedacht. Hinlänglich bekannt war, dass der Künstler fromme Sujets wählte, ohne selbst sonderlich fromm zu sein.“ Oft fehlte diesen Bildern die Demut gegenüber ihren heiligen Gegenständen und Themen. Es kam eben vor allem auf das „Wie“, nicht auf das „Was“ an. Der Künstler selbst will sich zeigen. Die stark gefühlte Bedeutsamkeit des Subjektiven sucht sich zu behaupten gegen die Tradition des Objektiven.

Schönheit ruht in den Dingen

Diese Subjektivität war aber noch nicht hemmungslos expressiv, sondern hielt sich in den Grenzen eines verbindlichen Schönheitsideals. Doch galt Schönheit nicht mehr als etwas objektiv Gegebenes, sondern als Ergebnis einer Verwandlung im Geiste des Subjektes, als etwas Absichtsvolles, auch Reflexives, das sich dem Willen zum Originellen verdankt. Schönheit ruht in den Dingen, doch das Objekt muss sie erst sichtbar machen. So erscheint die Schönheit als gelungene Verbindung zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven.

Es ist der geschmackvolle Mensch, letztlich der Künstler, der an den Dingen und Menschen die Schönheit in Erscheinung bringt: ein säkuläres Priestertum. Der Künstler erleuchtet die Welt, lässt sie in Schönheit glänzen, aber dient er auch der Erkenntnis? Leonardo da Vinci schreibt: „Die bildende Kunst ist von solcher Vortrefflichkeit, dass sie sich nicht nur den Erscheinungen der Natur zuwendet, sondern unendlich viel mehr Erscheinung, als die Natur hervorbringt.“ Quelle: „Einzeln sein“ von Rüdiger Safranski

Von Hans Klumbies