Die deutsche Politik war immer von Angst geprägt

Frank Biess erzählt in seinem Buch „Republik der Angst“ die Geschichte der Bundesrepublik als eine Epoche kollektiver Ängste. Dazu zählt er die Furcht vor der Vergeltung in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die Angst vor einem Atomkrieg und kommunistischer Infiltration in den fünfziger Jahren, vor Arbeitslosigkeit durch Automatisierung und autoritären politischen Tendenzen. Schließlich die apokalyptischen Befürchtungen der achtziger Jahre: Immer waren die politischen Debatten und die deutsche Politik von Angst geprägt, nicht zuletzt von der vermeintlichen Allgegenwart der nationalsozialistischen Vergangenheit. Die gewaltsamen Verwerfungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten also die Vorstellungen der Deutschen von der Zukunft. Die darin enthaltenen Ängste waren Ausdruck eines geschärften Bewusstseins für die Zerbrechlichkeit moderner Gesellschaften. Frank Biess ist Professor für Europäische Geschichte an der University of California, San Diego.

Die Erfahrung von Krieg und Gewalt begleitete die Demokratisierung der Bundesrepublik

Frank Biess bewertet nicht die Berechtigung dieser Ängste, er beschreibt vielmehr ihre prägende Rolle für die Entwicklung der Bundesrepublik. Die Erfahrung von Krieg und Gewalt, lautet einer seiner Thesen, begleitete die Demokratisierung und Liberalisierung des Landes. Die Angst stellte die soziale und politische Ordnung in Frage – und stabilisierte sie gleichzeitig. Schließlich beschreibt Frank Biess die Auswirkungen dieser Angstgeschichte auf die politische Kultur der Berliner Republik.

In Zeiten einer weltweiten Krise westlicher Demokratien ist den Deutschen diese Unsicherheit nach 1945 wieder näher gerückt. Die historischen Erfahrungen, die diese Ängste hervorriefen, wie der Untergang der Weimarer Republik oder die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus, waren den Westdeutschen nach 1945 zeitlich und emotional so nahe, wie es die Terrorattacken des 11. September dem gegenwärtigen Zukunftsbewusstsein sind.

Der Fortbestand der liberalen Demokratie ist keinesfalls sicher

Das Buch „Republik der Angst“ ist das Produkt autobiographischer und historiographischer Impulse. Es erzählt die Geschichte der Bundesrepublik als eine Ära aufeinanderfolgender Angstzyklen. Das Nachdenken über die Ängste der Vergangenheit ermöglicht auch ein besseres Verständnis der Gegenwart. Denn die Präsenz eines rechtspopulistischen Präsidenten im Weißen Haus und der Aufstieg eines neuen globalen Autoritarismus lässt den Fortbestand oder „Erfolg“ der liberalen Demokratie keinesfalls sicher erscheinen.

Falls die bundesrepublikanische Gesellschaft nach 1945 tatsächlich etwas Hypochonderhaftes hatte, dann wäre laut Søren Kierkegaard gerade die Dramatisierung der Zukunft eine der Vorbedingungen der Überwindung tatsächlicher Krisen gewesen. Allerdings war die Erfahrung nicht bestätigter Ängste nicht nur Ausdruck einer existenziellen menschlichen Grundbefindlichkeit. Sie war auch ein spezifisches historisches Merkmal der Zeit nach 1945.

Republik der Angst
Eine andere Geschichte der Bundesrepublik
Frank Biess
Verlag: Rowohlt
Gebundene Ausgabe: 613 Seiten, Auflage: 2019
ISBN: 978-3-498-00678-5, 22,00 Euro

Von Hans Klumbies