Wolfram von Eschenbach schreibt den Bestseller des Mittelalters

Vermutlich stammt Wolfram von Eschenbach aus der Nähe von Ansbach, ist jedoch unbegütert und auf den Lehensdienst angewiesen. Daher gibt es einige Grafen, die den Dichter unterstützt haben. Wolfram von Eschenbach ist der eigenwilligste Epiker der staufischen Literaturepoche. So hält er beispielsweise den höfischen Ritter aus der Art geschlagen, lehnt dessen Bildung ab, die ja noch immer in den Händen von Geistlichen liegt, und verweigert, wie seine Äußerungen zu Reinmars Dichtung zeigen, auch den Frauendienst. Wolfram von Eschenbach löst sich als selbstbewusster ritterlicher Laie von der geistlichen Unterweisung. Sein „Parzifal“ gehört zu den meistgelesenen Versepen des Mittelalters. Über 75 Handschriften und Fragmente weisen auf die außerordentlich weite Verbreitung hin. Auch Wolfram von Eschenbach fußt mit seinem „Parzifal“ auf Chrétien de Troyes, dessen 1185 begonnener „Perceval“ allerdings Fragment geblieben ist.

Parzifal lädt erste Schuld auf sich

Der Entwicklungsgang des Parzifal ist klar vorgezeichnet: Er wächst vom ahnungslosen Knaben zum Artusritter heran und wird schließlich Gralskönig, eine Laufbahn, die ihm vorbestimmt ist, von der er aber – so das antike Tragödienschema – keine Ahnung hat. Im „Parzifal“ von Wolfram von Eschenbach stoßen zwei Erzählschichten aufeinander, der Artuskreis und die Gralssage. Parzifal wird von seiner Mutter erzogen, die nach dem Rittertod ihres Gemahls in einer einsamen Waldgegend haust. Sie hält die ritterliche Welt absichtlich von Parzifal fern, um ihm das Schicksal des Vaters zu ersparen.

Ein Trupp vorbeiziehender Ritter weckt jedoch die Neugier des Knaben. Er zieht mit ihnen, um die Welt kennen zu lernen. Davor kann ihn auch das Narrengewand nicht abhalten, das ihm seine Mutter bei seinem Aufbruch gegeben hat, um ihn vor ernsten Gefahren zu schützen. Die erste Etappe des Wegs zum Gral legt Parzifal ganz innerhalb der Artuswelt zurück, aber er tut dies unwissend und verstrickt sich in erste Schuld. In Unkenntnis der Bedeutung des Minnepfands entreißt er Jeschute, der Gattin des Herzogs Orilus, Ring und Spange.

Parzifal macht eine unbekannte religiöse Erfahrung

In einem Zweikampf tötet Parzifal Ither, den Roten Ritter und besteht damit seine erste Mutprobe. Bei Gurnemanz erlernt Parzifal alle Pflichten und Rechte ritterlich-höfischen Lebens, vor allem aber Selbstbeherrschung und Mäßigung. Gurnemanz gibt ihm den verhängnisvollen Rat, nicht allzu neugierig zu sein. Als formvollendeter Ritter steht Parzifal Condwiramurs bei, als ihre Stadt belagert wird. Er gewinnt sie als Herrin. Damit ist ein wesentliches Ziel des Artusritters erreicht, aber in Parzifals Seele kündigt sich mehr an.

Auf seinem Ritt weg von Condwiramurs trifft er auf die Gralsburg, ein Arkanbereich jenseits der real erfahrbaren Artuswelt. Parzifal erlebt den Gral und die Gralsmahlzeit, aber er fragt nicht nach dem Grund für die Trauer am Hof, denn sein Lehrer Gurnemanz hat ihm ja geraten, nicht allzu neugierig zu sein. Am nächsten Morgen findet sich Parzifal vor der entvölkerten Burg wieder. Zum ersten Mal hat sich der vollendete Artusritter über die Grenzen dieser Welt hinausgewagt und ist gescheitert. Wolfram von Eschenbach konfrontiert sein Publikum damit mit einer unbekannten religiösen Erfahrung, die im konventionellen Schema von Ehre und Minne nicht mehr verarbeitbar ist. Quelle: „Deutsche Literaturgeschichte“ aus dem Verlag J. B. Metzler

Von Hans Klumbies