Wolfgang Schmidbauer plädiert in seinem neuen Buch „Die Kunst der Reparatur“ dafür, Reparaturen wieder zu erlernen und wertzuschätzen. Für den Autor ist die Reparatur ein unterschätzter Teil der Lebenskunst: „Sie entfaltet eine anarchische Kreativität in Opposition zu den perfektionistischen Versprechen, alle Dinge wieder wie neu oder gar noch besser zu machen.“ Vor der modernen Konsumgesellschaft war es selbstverständlich, Dinge neugierig auseinanderzunehmen und sie den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Drei Fragen sollten heute vor jedem Kauf stehen: 1. Brauche ich das wirklich? 2. Kann ich es reparieren? und 3. Wo bleibt der Müll? In seinem Buch ergänzt Wolfgang Schmidbauer die vielfältigen Anregungen zur Entwicklung einer Reparaturgesellschaft um einen psychologischen Aspekt. Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer ist Autor zahlreicher Fach- und Sachbücher, die sich millionenfach verkauften.
Die Konsumgesellschaft schadet der Psyche
Wolfgang Schmidbauer warnt: „Die Konsumgesellschaft schadet nicht nur der Umwelt, sondern auch der Psyche.“ Viele Menschen handeln so, als seien die Ressourcen unendlich, obwohl sie eigentlich wissen sollten, wie begrenzt sie sind. Die Konsumgesellschaft ist psychologisch gesehen, ein manischer Prozess. Manische Zustände sind durch Selbstüberschätzung, Verleugnung von Grenzen und blinden Optimismus charakterisiert. Sie kämpfen wütend gegen alle Zweifel und Einschränkungen ihrer Größenphantasie.
Die Konsumgesellschaft macht die Menschen auf eine gefährliche Weise primitiver, als sie es eigentlich sein müssten. Sie befreit sie von dem Zwang, sich mit den Defekten der Dinge zu beschäftigen. Dadurch entsteht ein geistiges Klima, in dem Alter schlechthin zum Defekt geworden ist und die Schönheitschirurgen ähnlich argumentieren wie die Handyverkäufer. Nicht zu lange warten, nicht daran glauben, dass man noch zuwarten kann, weil die wirklichen Alterserscheinungen ja noch gar nicht da sind.
Bei einer Reparatur geht es um die Freude am Tun
Die beste Reparatur ist eine, die durch sorgfältigen, pfleglichen Umgang nicht anfällt. Deshalb lohnt es sich von Anfang an über die Grenzen der Belastbarkeit der Dinge und Lebewesen in seiner Umgebung nachzudenken. Wer so denkt, sieht eine Störung nicht nur als Anlass zu einer Reparatur, sondern als Aufforderung, sich über vorbeugende Pflege und Rücksichtnahme kundig zu machen. Wenn doch eine Reparatur notwendig sein sollte, dann geht es dabei nicht um Höchstleistungen oder Rivalität, sondern um die Freude am Tun ohne ein Schielen nach Beifall.
Auf die Frage: Wann haben wir etwas verstanden? antwortet Wolfgang Schmidbauer: „Wenn wir es reparieren können.“ Während die Menschheit die Vielfalt der Natur reduziert und jeden Tag einige Arten aussterben, übersteigen die von Menschen geschaffenen Komplexitäten das individuelle Urteilsvermögen. Wenn Homo sapiens eine Zukunft haben will, muss er akzeptieren, dass er nicht Herr der Natur, sondern nur für sich und die von ihm gemachten Dinge zuständig ist. Er muss sie so gestalten, dass sie den anderen Lebewesen nicht schaden.
Die Kunst der Reparatur
Wolfgang Schmidbauer
Verlag: oekom
Broschierte Ausgabe: 190 Seiten, Auflage: 2020
ISBN: 978-3-96238-183-7, 20,00 Euro
Von Hans Klumbies