Die Götter sind menschlichen Ursprungs

Im 5. und 6. Jahrhundert v. Chr. findet die Demokratie in Griechenland erstmals Erwähnung. Unter den vorsokratischen Denkern ist Xenophanes von Kolophon der erste, dem man die Einsicht in den menschlichen Ursprung der Götter zuschreibt. „Wenn die Pferde Götter hätten, sähen sie wie Pferde aus“, ist ein pointierter Spruch, mit dem Xenophanes in das Gedächtnis der Menschheit eingegangen ist. Volker Gerhard ergänzt: „In anderen Bemerkungen des Denkers kommen die Menschen als begrifflich aktive Wesen vor, die zwar auch Lebewesen wie die Tiere sind, aber dank einer besonderen Gunst der Götter über die Fähigkeit zum Erkennen und zum Denken verfügen.“ Volker Gerhardt lehrte bis 2012 als Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin. Dort ist er auch weiterhin als Seniorprofessor tätig.

Das menschliche Wissen bleibt unvollkommen

Da die Götter nur einen kleinen Teil des Wesens der Verhältnisse und Dinge enthüllen, welche die Menschen als Erkennende zu begreifen suchen, bleibt das menschliche Wissen unvollkommen. In seiner Naturphilosophie ist Xenophanes sowohl um das Verständnis der Vorgänge am Himmel wie auch der auf der Erde bemüht. Sein Werk ist nur in wenigen Bruchstücken überliefert. Volker Gerhardt stellt fest: „Die Besonderheit des Menschen im Vergleich zu den anderen Lebewesen sieht Xenophanes in den Leistungen des Erkennens und des begrifflichen Unterscheidens.“

In deren Betonung liegt keine Abwertung dessen, was man heute als die Intelligenz der Tiere bezeichnet. Diese gehen in ihrer Aufmerksamkeit von ihren Bedürfnissen aus und sind somit auf Gegenstände gerichtet, die für sie sinnlich vorrangig sind. Doch der Mensch geht mit seiner Frage nach der Herkunft und dem Ziel aller Dinge darüber hinaus. Er kann die Eigenart vieler Gegenstände und Ereignisse erkennen und vermag den Begriff eines höheren Wesens zu fassen.

Auch der Mensch muss sich als Einheit verstehen

Von dem sich nur den Menschen erschließenden Gott heißt es bei Xenophanes: „Als Ganzer sieht er, als Ganzer versteht er, als Ganzer hört er.“ Diese lakonische Feststellung ist der Kern einer rationalen Theologie. Volker Gerhard erläutert: „Den hier verwendeten Begriff des Ganzen – houlos – darf man nicht nur auf die gesehene, verstandene und gehörte Welt beziehen. Er bezeichnet vornehmlich die Eigenart Gottes, der in allen seinen Tätigkeiten als Ganzes wirksam ist.“

Doch auch der Mensch muss sich in seinen sinnlichen und begrifflichen Leistungen als Einheit verstehen, wenn er selbst etwas in die einheitliche Form einer Erkenntnis bringen will. In dieser Einheitsbedingung liegt ein in seiner Klarheit und Schlichtheit unüberbietbares Merkmal der Intellektualität des Menschen. Denn von ihm heißt es, er sieht, hört und versteht nur als Ganzer! Man könnte darin ein definiens des Menschen sehen. Dieser hat sich auch in seinen praktischen Leistungen als ein Ganzes, als Subjekt oder Person, wie man heute sagt, zu verstehen. Quelle: „Individuum und Menschheit“ von Volker Gerhardt

Von Hans Klumbies