Auf sprachliche Eskalation folgt wütender Protest

Als Manuel Macron zu Jahresbeginn 2022 davon gesprochen hat, Ungeimpften „auf die Nerven zu gehen“, hat er sprachliche oder strukturelle Gewalt gegen seine Staatsbürger angewendet. Als die Beschimpften sich mit Straßenprotesten dagegen wehrten, unterband man den Protest. Man verwies dabei auf die Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Ulrike Guérot stellt fest: „Die – bewusste oder entglittene? – sprachliche Eskalation generiert also wütenden Protest, der dann der Vorwand ist, um staatlicherseits zu prügeln.“ Die Polizei wird zum Anwalt eines Systems, das sich im Recht glaubt. Ein Teufelskreis. Ein System, das strukturelle Gewalt anwendet, gewinnt immer. Zuvor war über Monate die Kommunikation zwischen Maßnahmenbefürworter und Gegner längst gerissen. Die einen haben eine scheinbare Mehrheit, die Wahrheit und die Moral sowieso. Seit Herbst 2021 ist Ulrike Guérot Professorin für Europapolitik der Rheinischen-Friedrichs-Wilhelms Universität Bonn.

Es haben sich zwei Paralleluniversen entwickelt

Die anderen sind uneinsichtig, Störenfriede und tendenziell gefährlich. Die einen haben Angst vor Corona, die anderen vor Existenzverlust oder vor der Erosion der Demokratie. Doch nur die erste Angst ist offiziell autorisiert. Die anderen Ängste werden zwar geäußert, aber weggewischt. Gefangen im „Bann der Gegenwart“ reichte der Blick der Gesellschaft nur bis zur nächsten Infektionszahl. Die einen haben die offiziellen Medien gelesen und ihren Experten zugehört.

Die anderen, eine Minderheit, hat in sogenannten alternativen, eigentlich aber oppositionellen Medien andere Dinge gelesen und anderen Personen zugehört. Ulrike Guérot erklärt: „Innerhalb von zwei Jahren haben sich so zwei Paralleluniversen entwickelt. Eine Mehrheit weigert sich, vom rechten Glauben abzufallen, kann oder will nicht wahrhaben, dass sie sich hat möglicherweise täuschen lassen.“ Nämlich über die Schwere der Pandemie, die Wirkung der Impfung oder ihre Nebenwirkungen.

Die Lockdowns waren weitgehend wirkungslos

Die Empirie aber erhärtet heute eher die Argumente der Maßnahmen-Kritiker. Vor allem, dass die Impfung nicht hält, was BioNTech oder die Politik versprochen haben, und die Maßnahmen – wie Lockdowns – überzogen beziehungsweise weitgehend wirkungslos waren. „Wir werden einander viel verzeihen müssen“, sagte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn zu Beginn der Krise. Vom Verzeihen ist derzeit aber kaum die Rede und von Versöhnung auch nicht. Nicht einmal von Zuhören.

Ulrike Guérot weiß: „Sei nunmehr zwei Jahren wurde versucht, eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung – die Coronakrise – durch eine zunehmend verabsolutierte Politik zu lösen.“ Eine Minderheit, die legitimierte Kritik an den Zuständen geäußert hat, wurde diffamiert, rechtlich allein und gesellschaftlich isoliert zurückgelassen. Das befeuerte deren Angst, die Politik könne autoritär werden. Es entstand eine tiefe soziale Spaltung. Doch nicht nur das. Man installierte eine herrschende Meinung zu Corona, Widerspruch zwecklos, Diskurs nicht erwünscht. Wie konnte das demokratische Geschehen so verrutschen? Quelle: „Wer schweigt, stimmt zu“ von Ulrike Guérot

Von Hans Klumbies