Die Gefühle eines Menschen sind selten klar und eindeutig, sondern fühlen sich je nach Situation und Umständen mal so und mal anders an, sie vermischen sich und werden auch von jedem Menschen individuell empfunden. Es gibt einen weltweiten Kampf unter Forschern über die Frage, ob Emotionen nun angeboren oder doch kulturabhängig sind. Ulrich Schnabel erklärt: „Die einen beharren auf weltweit einheitlichen Universalemotionen, die klar bestimm- und unterscheidbar seien und gewissermaßen die diskreten Elemente unseres Gefühlslebens darstellen. Die anderen halten das für eine unzulässige Simplifizierung, die die Vielfalt und Veränderlichkeit der Gefühle in keiner Weise gerecht werde, und betonen stattdessen den starken Einfluss der jeweiligen Kultur und Gesellschaft.“ Wie Wahrheit liegt wohl, wie so oft, in der Mitte. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.
Primäre Emotionssysteme aktivieren ein Set von körperlichen Reaktionen
Einerseits gibt es durchaus basale Regungen, die bei allen Menschen und Tieren ähnlich ablaufen und zentral für das Überleben sind: Eine Urform der Angst, die lehrt, vor Bedrohung zu flüchten; Wut, die in die Lage versetzt, sich und die eigenen Interessen aggressiv zu verteidigen; sowie Lust oder Freude angesichts von Futter oder einem Partner für die Fortpflanzung. Diese basalen oder „primären“ Emotionssysteme aktivieren dabei stets ein ganzes „Handlungspaket“ von körperlichen Reaktionen. Angst drück sich etwa dadurch aus, dass man vor Schreck die Augen aufreißt, um das Gesichtsfeld zu vergrößern.
Zudem öffnen sich bei Angstgefühle der Mund und die Nase, um besser atmen zu können, der Puls geht in die Höhe und Blut wird in die Muskeln gepumpt, um schneller laufen zu können. Angesichts von etwas Ekligem rümpft ein Mensch automatisch die Nase, kneift die Augen zusammen und drückt die Lippen fest aufeinander, umso wenig wie möglich von dem Objekt des Ekels mitzubekommen. Andererseits sind solch deutliche Unterschiede eben nur bei einigen wenigen grundlegenden Emotionen zu erkennen, die sich direkt auf biologische Überlebensmechanismen zurückführen lassen.
Gefühle sind stets auch durch ihren kulturellen Rahmen geprägt
All die ausdifferenzierten Gefühle hingegen, die für den Menschen so typisch sind, lassen sich sehr viel weniger klar unterscheiden. Denn sie bleiben nicht nur auf der Ebene des spontanen Erlebens, sondern werden zusätzlich beeinflusst durch gedankliche Prozesse, durch individuelle Bewertungen ebenso wie durch soziale Regeln und kulturelle Normen – was sich zum Beispiel bei Gefühlen wie Scham, Stolz oder Ehre deutlich zeigt. Im Europa des 18. Jahrhunderts etwa hatte das Ehrgefühl einen völlig anderen Stellenwert als heute.
Mitunter wurde damals das Ehrgefühl sogar höher bewertet als das Interesse an der eigenen Existenz – wenn man in einem Duell sein Leben aufs Spiel setzte, um seine Ehre zu verteidigen. Auch das Studium fremder Kulturen macht die Bedeutung des sozialen Zusammenhangs unmissverständlich klar. Ethnologen stoßen immer wieder auf seltsame Rituale, die aus westlicher Perspektive verstörend wirken. Gefühle sind also nicht nur durch individuelle Überlegungen geprägt, sondern stets auch durch ihren kulturellen Rahmen, der ihnen zugeschrieben wird. Quelle: „Was kostet ein Lächeln?“ von Ulrich Schnabel
Von Hans Klumbies