Die Gegenwart ist unbehaglich

Im Grunde, und hier teilt Daniel Goeudevert die Auffassung der Bewegung Fridays-for-Future, ist gar kein Expertenwissen nötig, um die offensichtliche Probleme der Gegenwart zu erkennen. Dann könnte man auch über deren Ursachen nachdenken. Jeder und jede ist zum Nachdenken aufgefordert. Man müsste dabei nur bereit sein, persönliche Interessen und Neigungen einmal hintanzustellen. Es ist aber gar nicht leicht, von den eigenen Wünschen und Vorlieben, Vorstellungen und Gewohnheiten abzusehen. Von den echten Bedürfnissen will Daniel Goeudevert in diesem Zusammenhang gar nicht sprechen. Denn die meisten Menschen können kaum noch zwischen Konsumwünschen und Bedürfnisbefriedigung unterscheiden. Sie haben die Konsummentalität so verinnerlicht, dass sie gewissermaßen zum Teil der Maschinerie geworden sind. Daniel Goeudevert war Vorsitzender der deutschen Vorstände von Citroën, Renault und Ford sowie Mitglied des Konzernvorstands von VW.

Ein Fortschreiten ohne Ziel wird zum rasenden Stillstand

Was immer einem Menschen guttut, was ihm schmeckt oder schmückt, was ihn ehrt oder Anerkennung verschafft, davon will er mehr. Jedenfalls die meisten Menschen wollen das, und zwar möglichst sofort, ohne Aufschub. Daniel Goeudevert stellt fest: „Dabei bringt uns dieses Mehr ab einem bestimmten Punkt in Wahrheit gar keinen zusätzlichen Nutzen mehr ein.“ Es verursacht aber natürlich externe Kosten – seien es Rohstoff- oder Energiekosten – die man ausblendet oder geringschätzt.

Ein solches Fortschreiten, das kein Ziel kennt, wird zum rasenden Stillstand. Die Jäger nach Effizienz und Rendite, die ewiges Wachstum predigen, hinterlassen am Ende nur mehr verwüstetes Gelände. Sie haben jedes Maß verloren. Die verherrende Logik der Steigerung des Lebens und Wirtschaftens verdankt sich aber nicht in erster Linie sinistren Geschäftemachern. Diese verkaufen jedem Dreck für Gold, um den Menschen ihr sauer verdientes Geld aus der Tasche zu ziehen.

Immer mehr junge Leute empfinden eine Unzufriedenheit

Sie ist auch nicht die notwendige Folge eines irgendwie zentral gelenkten kapitalistischen Räderwerks. Nein, der Treibstoff all dessen, das hat spätestens das Internet bis zur Kenntlichkeit deutlich werden lassen, sind die Menschen selbst, ihre Wünsche und Fantasien. Daniel Goeudevert hofft: „Und es wäre in vielerlei Hinsicht tatsächlich besser, wenn uns jemand oder etwas vor den eigenen Begehrlichkeiten schützen könnte.“ Das ist als Gedankenspiel durchaus förderlich, aber natürlich keine ernst gemeinte Forderung.

Solange aber das eigene Handeln dem eigenen Denken zuwiderläuft, bleibt es wahnsinnig schwer, vielleicht aussichtslos, Die Dinge zum Besseren zu wenden. Immerhin scheint sich diese Erkenntnis langsam zu verbreiten. Vor allem junge Leute in den reichen Industrieländern begreifen, dass die schnelle Befriedigung spontan aufkommender Wünsche mit Bedürfniserfüllung erst einmal rein gar nichts zu tun hat. Denn obwohl so viele ihrer Wünsche stets erfüllt wurden, bleiben sie irgendwie stets bedürftig. Sie empfinden dabei eine Unzufriedenheit, die sie sich nur schwer erklären können. Quelle: „Sackgasse“ von Daniel Goeudevert

Von Hans Klumbies