Der Übergang von Schüchternheit zur sozialen Angststörung ist fließend

Professor Eric Leibing von der Universität Göttingen erklärt: „Die soziale Phobie ist eine stille Störung.“ Die Ängste der Betroffenen können vielfältig sein. Angst davor, sich zu blamieren, etwas falsch zu machen, nicht gut genug zu sein, nicht sprechen zu können, mit dem Glas in der Hand zu zittern, ausgelacht und abgewertet zu werden. Und noch mehr Angst, dass die anderen Menschen die eigene Angst bemerken. Aber niemand bemerkt etwas. Die Erkrankung wird von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, obwohl sie durchaus häufig vorkommt. Sieben bis zwölf Prozent der Menschen erfüllen irgendwann im Lauf ihres Lebens die Kriterien dafür. Doch sie bemühen sich, ihre Angst nicht zu zeigen, und ziehen sich zurück. Der Psychologe und Psychotherapeut Eric Leibing erläutert: „Eine Panikattacke fällt auf, eine Partyabsage nicht.“

Oftmals wird eine soziale Phobie als Erkrankung nicht erkannt

Der Übergang von Schüchternheit zur sozialen Angststörung ist fließend. Oft gibt es ein Schlüsselerlebnis. Eric Leibing sagt: „Es passiert tatsächlich etwas Peinliches, etwa dass man vom Lehrer bloßgestellt wird.“ Für die Entwicklung einer Angststörung spielen mehrere Faktoren eine Rolle: eine angeborene Veranlagung, erlernte Einstellungen und Verhaltensweisen sowie negative Erfahrungen mit anderen Menschen. Extreme Erwartungen in der Familie können ebenfalls eine soziale Phobie auslösen.

In extremen Fällen geben die Betroffenen ihr Sozialleben komplett auf. Andere betäuben sich mit Alkohol und Beruhigungsmitteln. Oftmals wird eine soziale Phobie als Erkrankung nicht erkannt. Das ist besonders tragisch, weil es erfolgreiche Methoden der Behandlung gibt. Sehr gut wirkt die kognitive Verhaltenstherapie. Dabei lernt der Patient, gefürchtete Situationen mit einem anderen Blick zu betrachten. Eric Leibing stellt fest: „Betroffene fokussieren ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich selbst und haben eine verzerrte Vorstellung von ihrer eigenen Wirkung und der Situation.“

Soziale Phobien lassen sich am besten mit einer Psychotherapie behandeln

In Verhaltensexperimenten erleben sie, dass ihre Befürchtungen nicht eintreten. Hilfreich ist auch eine spezielle Form der psychodynamischen Therapie. Dabei wird der „zentrale Beziehungskonflikt“ des Patienten bearbeitet. In Gesprächen kristallisiert sich das hervorstechende, wiederkehrende Problem im Umgang mit anderen heraus. Der Patient arbeitet mit Hilfe des Therapeuten daran, seine große Scham und Selbstabwertung abzubauen. Die Furcht nehmen können auch Medikamente. Nachgewiesen wirksam sind bei dieser Symptomatik aber nur vier Antidepressiva der neueren Generation.

Eric Leibing betont: „Alle anderen Medikamente, auch die verschreibungsfreien, helfen nicht.“ Egal, auf welches Arzneimittel der Betroffene schwört, die langfristigen Erfolgsaussichten sind mit einer Psychotherapie besser. Die Patienten können sich direkt an einen Therapeuten wenden, eine Überweisung vom Arzt ist nicht notwendig. Der Psychologe Ulrich Stangier, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt erklärt: „Für Betroffene ist es wichtig, von anderen Menschen akzeptiert zu werden.“ Quelle: Apotheken Umschau

Von Hans Klumbies