Jean Pauls Idyllen ragen weit über andere Schriftsteller hinaus

Der Schriftsteller Jean Paul steht für Robert Minder seit langem nur als fernes Wetterleuchten am Rande des deutschen Bewusstseins. Er gibt zu dass er es seinen Lesern mit seinem Schreibstil nie leicht gemacht hat: „Lianen, mannshohe Schlingpflanzen, tropische Wucherung – es verschlägt den Atem. Feinhörigere lassen sich mitreißen auf die wildverwachsenen Pfade. Mit einem Schlag eine andere Landschaft. Erstarrt, versteinert.“ Jean Paul, der Dichter der strömenden Fülle ist auch ein grandioser Gestalter der Vernichtung und des Grauens. Dazwischen gibt es laut Robert Minder aber immer wieder öde Strecken von Schottergeröll. Jean Paul scheint dann zu taumeln und zu schwanken. Der französische Germanist Robert Minder, 1902 in Wasselonne/Elsass geboren, gehört zu den großen Mittlern deutscher und französischer Literatur. Er lehrte Germanistik an den Universitäten Nancy, Grenoble, Sorbonne und am Collège de France in Paris. Robert Minder starb 1980 in der Nähe von Cannes.

Jean Paul setzt in seinen Romanen Zeitverschiebungen und Verfremdungseffekte ein

Doch wenn die Fülle der Worte bei Jean Paul wieder frei dahinströmt, hört es sich wie folgt an: „Die Alpen standen wie verbrüderte Riesen der Vorwelt fern in der Vergangenheit und hielten hoch der Sonne die glänzenden Schilde der Eisberge entgegen – die Riesen trugen blaue Gürtel aus Wäldern – und zu ihren Füßen lagen Hügel und Weinberge – und zwischen den Gewölben aus Reben spielten die Morgenwinde mit Kaskaden wie mit wassertaftenden Bändern – und an den Bändern hing der überfüllte Wasserspiegel des Sees von den Bergen nieder, und sie flatterten in den Spiegel, und ein Laubwerk aus Kastanienwäldern fasste ihn ein.“

Robert Minder bezeichnet diesen Stil als kraus, üppig und barock. Immer wieder setzt Jean Paul bei seinen Geschichten eine raffinierte Technik der Zeitverschiebung und Verfremdungseffekte ein. Johann Wolfgang von Goethe schwankte, dem Werk Jean Pauls gegenüber, immer zwischen Bewunderung und Unmut. Friedrich Schiller kritisierte den Schreibstil Jean Pauls als chinesischen Wust. Zu den großen Romanen von Jean Paul zählen „Die unsichtbare Loge“, „Hesperus“, „Titan“, „Die Flegeljahre“, „Armenadvokat Siebenkäs“ und der unvollendete „Komet“.

Alle Helden Jean Pauls müssen eine Todesprobe bestehen

Weitere berühmte Schriften Jean Pauls sind die „Vorschule der Ästhetik“, die Erziehungslehre „Levana“, die Satiren „Rektor Fälbel“, „Feldprediger Schmelzle“, „Doktor Katzenberger“, die Idyllen „Schulmeister Wuz“ und „Das Leben Fibels“. Was Jean Pauls Idyllen weit über die anderer Schriftsteller hinaushebt ist die Todesprobe, die alle Helden Jean Pauls, sogar Kinder, kaum der Schulbank entronnen, bestehen müssen. Jean Paul schreibt zum Beispiel: „Wie war Dein Leben und Sterben so sanft und meerstille, du vergnügtes Schulmeisterlein Wuz!“

Souverän nimmt schon der erste Satz den Tod in die Idylle mit hinein und das Wort „meerstille“ weitet genial mit sanftem Leuchten die krause Krümelwelt in die Weite des Ozeans. Das Universum, wie es sich Wuz aus Traum und Buch lustvoll und selbstherrlich aufgebaut hat, stellt sich zuletzt als beklemmend unwirkliches Vexierspiel heraus. Mit Kinderkalender und pietätvoll bewahrten Spielzeug tritt der Schulmeister gefasst die pharaonische Todesfahrt an.

Von Hans Klumbies