In vielen asiatischen Schwellenländern haben in den vergangenen Wochen die einheimischen Währungen viel an Wert verloren. Dennoch droht für den Starökonomen und Chef der indischen Notenbank, Raghuram Rajan, dabei keinesfalls um eine neue Asienkrise. Seiner Meinung nach handelt sich um eine unnötige Aufregung in den Medien und zum Teil auch auf den Finanzmärkten. Als Beispiel nennt Raghuram Rajan sein Heimatland Indien: „Unsere kurzfristigen Schulden liegen bei zehn Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Wir verfügen über Währungsreserven in Höhe von fünfzehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Wir könnten also unsere Schulden ohne Probleme aus unseren Devisenvorräten zurückzahlen.“ Außerdem beläuft sich die indische Staatsverschuldung nur auf fünfundvierzig Prozent der Wirtschaftsleistung. In Deutschland ist sie zum Beispiel wesentlich höher. Eine Schuldenkrise in Indien ist laut Raghuram Rajan also vollkommen unmöglich.
Das drängendste Problem in Indien ist der Ausbau der Infrastruktur
Raghuram Rajan muss allerdings zugeben, dass es in Indien Probleme gibt, die das Land aber selbst lösen kann. Indien befindet sich keinesfalls am Rande des Zusammenbruchs. Eines der drängendsten Probleme ist für den Starökonomen der Ausbau der Infrastruktur. Raghuram Rajan erklärt: „Indien baut sie aus, aber in einem wesentlich langsameren Tempo als etwa China. Das hat auch damit zu tun, dass wir eine Demokratie sind – und wenn man eine Straße bauen will, muss man in einer Demokratie mit den Leuten reden, die davon betroffen sind.“
Raghuram Rajan hält diese demokratische Vorgehensweise für richtig, aber es bedeutet auch, dass bestimmte Bauprojekte mehr Zeit in Anspruch nehmen, weil ein Konsens gefunden werden muss. Der Chef der indischen Notenbank weist zudem darauf hin, dass Indien Defizite bei der Berufsausbildung und bei den Rahmenbedingungen für Unternehmen hat. Dabei handelt es sich um strukturelle Probleme. Die Märkte spielen laut Raghuram Rajan verrückt, weil die amerikanische Notenbank Fed angekündigt hat, ihr Anleiheprogramm zurückzufahren.
Die Intervention der Zentralbanken hat eine Depression der Weltwirtschaft verhindert
Die amerikanische Notenbank Fed kauft in großem Stil Staatsanleihen, um das langfristige Zinsniveau nach unten zu drücken und die heimische Wirtschaft anzukurbeln. Im Frühjahr hat sie verkündet, das Programm langsam zu beenden. Und plötzlich richteten laut Raghuram Rajan alle ihre Augen auf die Schwellenländer: „Daraufhin gerieten die Währungen unter Druck. Das kann zu einem Problem werden: Denn es besteht die Gefahr, dass sich diese Abwärtsbewegung an den Märkten selbst verstärkt.“
Viele Ökonomen warnen davor, dass die Erholung der Weltwirtschaft ins Stocken geraten könnte, wenn die Fed die Zinsen steigen lässt. Raghuram Rajan denkt, dass es richtig war, dass die Zentralbanken auf dem Höhepunkt der Krise intervenierten. Dadurch haben sie seiner Meinung nach wahrscheinlich verhindert, dass die Weltwirtschaft in eine Depression fällt, wie in den dreißiger Jahren. Der Chef der indischen Notenbank ist sich aber nicht sicher, ob eine Fortsetzung dieser Politik nachhaltiges Wachstum erzeugt.
Von Hans Klumbies