Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 04/2014 heißt „Das Ich Syndrom. Bin ich der wichtigste Mensch in meinem Leben?“. Über 2.000 Jahre predigten die Philosophen und Weisen unserer Kultur, dass sich ein gutes Leben dadurch auszeichnet, möglichst wenig an sich selbst zu denken. Heute dagegen wird die ständige Sorge um das eigene Selbst zur Basis einer wahrhaft ethischen Existenz erklärt. Das Motto dabei lautet: „Ich zuerst!“. Laut Chefredakteur Wolfram Eilenberger leben die modernen Gesellschaften des Westens in einem Ich-Zeitalter, in einer Epoche , die das Ego zum Zentrum und Fundament aller Welterfahrung erklärte und dieses Ich darüber hinaus entschieden anspornte, sich zu erkunden, zu entwickeln und sich in seinen Sehnsüchten ernst zu nehmen. Schon seit dem Beginn der Neuzeit streiten Philosophen heftig ums „Ich“. Sollte es sich lieben oder doch eher verachten?
Durch Freude gelangt der Mensch zu einer größeren Vollkommenheit
Die gängige Kritik lautet, dass die Moderne von einer sträflichen Selbstbezogenheit geprägt ist. Laut Josef Früchtl, Professor für Philosophie der Kunst und Kultur an der Universität Amsterdam, zeigt die Realität aber: „Kein Ich ohne Gegenüber. Noch der größte Narzisst setzt sich in ein Verhältnis zu anderen.“ Außerdem ergründen die Schriftstellerin Julia Franck und der Philosoph Dieter Thomä in einem Gespräch mit Chefredakteur Wolfram Eilenberger die Abgründe der modernen Ich-Sucht in einem Zeitalter, dass von Imperativen der Selbstsorge bestimmt ist, die die Grundlage für ein gelingendes Leben bilden sollen.
In der Rubrik „Der Klassiker“ der Philosophie, setzt sich das neue Philosophie Magazin diesmal mit den Ideen Baruch de Spinozas (1632 – 1677) auseinander. Eine seiner Grundüberzeugungen lautet: „Freude ist eine Übergang des Menschen von einer geringeren zu einer größeren Vollkommenheit.“ Baruch de Spinoza entwirft einer Theorie der menschlichen Existenz, in dem eine von der Vernunft geleitete Maximierung der Lebenslust das eigentliche Erkenntnisziel darstellt. Der Philosoph plädiert dafür, den Menschen als Teil eines Naturgeschehens zu verstehen, in dem sowohl geistige wie materielle Prozesse ohne Widersprüche ihren Platz finden.
Putins Expansionspolitik baut auf drei Säulen auf
Ein sehr interessantes Gespräch führt auch die stellvertretende Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler mit dem Literaturwissenschaftler Thomas Strässle und dem Dramatiker und Schriftsteller Lukas Bärfuss über die Frage, ob es ein Recht auf Faulheit gibt. Für Thomas Strässle ist die einzige gesellschaftlich akzeptierte Form der Faulheit der kurze Mittagsschlaf, der die Menschen hinterher wieder umso effizienter arbeiten lässt. Außerdem setzt die Faulheit tatsächlich die bewusste Entscheidung voraus, sich der Endlosschleife aus Konsum und Arbeit zu verweigern.
Der stellvertretende Chefredakteur des französischen Philosophie Magazine, Michel Eltchaninoff, spürt in seinem Reportage-Essay „Im Kopf von Putin“ den geistigen Quellen von Wladimir Putins Expansionspolitik nach. Für ihr tritt klar zutage, dass das Denken des Herrschers über Russland auf drei Säulen aufbaut: „Einer konservativen Doktrin alten Schlags zum Gebrauch im Inneren, einer von den Slawophilen geerbten Theorie des russischen Weges und schließlich dem Projekt einer eurasischen Zukunft. Diese dreifache Doktrin verspricht dem Rest der Welt eine eher unruhige Zukunft.“
Von Hans Klumbies