Der Philosoph Peter Bieri klärt über die innere Selbständigkeit auf

Es ist nicht nur nach außen hin, dass die Menschen selbstständig sein möchten. Nicht nur die Abhängigkeit von anderen Menschen kann die eigene Würde gefährden. Es gibt laut Peter Bieri auch ein Bedürfnis nach innerer Selbstständigkeit. Er bezeichnet dies als die Möglichkeit, über das Denken, Fühlen und Wollen selbst zu bestimmen und in diesem Sinne unabhängig zu sein und nicht angewiesen auf andere. Auch wenn diese Art der Selbstständigkeit misslingt, kann man das als eine Gefahr für die eigene Würde betrachten. Die innere Selbstständigkeit kann für Peter Bieri allerdings nicht darin bestehen, dass man von anderen Menschen überhaupt nicht beeinflusst wird. Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

Die Beeinflussung zwischen Menschen gehört zur Natur einer echten Begegnung

Selbstständig zu sein in seiner Innenwelt, heißt für Peter Bieri nicht, nach außen versiegelt zu sein, gleichgültig und unempfindlich gegen äußere Einflüsse. Wie Menschen ihr Dasein leben und erleben, auch das innere Leben, wird tausendfach von den Mitmenschen beeinflusst. Und die meisten Menschen wolle das auch. Es gehört zur Möglichkeit der menschlichen Entwicklung und Entfaltung. Peter Bieri erläutert: „Diese Beeinflussung zwischen Menschen gehört zur Natur einer echten Begegnung, die auch eine Form der Würde ist.“

Die Menschen brauchen ihr Leben, auch ihr inneres Leben, nicht einfach geschehen lassen. Sie brauchen sich auch von dem, was in ihrem Inneren geschieht, nicht nur treiben zu lassen. Sie können das innere Geschehen zum eigenen Thema erklären, es befragen und sich darum kümmern. Was die Menschen dabei tun können, und wie die erreichte Selbstständigkeit aussieht, hängt von der Art des inneren Geschehens ab. Eine erste Form der Selbstständigkeit ist für Peter Bieri die Selbstständigkeit im Denken.

Zur Lebensform der Würde gehört die Wachheit gegenüber dem eigenen Denken

Vieles, was Menschen denken, meinen und sagen, ist laut Peter Bieri zunächst durch Nachahmung und Gewohnheit entstanden. Man hat es ihnen vorgesagt und sie haben es wiederholt. Dies funktioniert, da es ja zu dem passt, was die anderen Menschen reden. Peter Bieri erläutert: „Eine gedankliche Selbstständigkeit, wie sie zur Lebensform der Würde gehört, zeigt sich in einer besonderen Wachheit gegenüber dem, was man denkt und sagt.“ Man sollte sich dabei immer folgende Fragen stellen: „Was genau bedeutet das?“ und „Woher eigentlich weiß ich das?“

Zur Selbstständigkeit im Denken gehört, dass diese beiden Fragen zur zweiten Natur werden. Sie sind für Peter Bieri geleitet von der Einsicht, dass vieles, das bedeutungsvoll klingt, ohne Bedeutung ist und dass vieles, was wie ein Gedanke aussieht, keiner ist. Von vielem wissen die Menschen gar nicht, warum sie es eigentlich denken und glauben. Manches, was wie ein teurer Gedanken aussieht, entpuppt sich im Nachhinein als billiger Spruch. Peter Bieri fasst zusammen: „Selbstständig zu sein, heißt, skeptisch zu sein gegenüber leeren Worten und glatten Sprüchen.“

Von Hans Klumbies