Der Mensch ist erhaben

Die Sozialität geistiger Lebewesen besteht darin, sich aus dem Sumpf ihres Überlebens zu erheben. Der Mensch ist erhaben. Markus Gabriel erklärt: „Wir existieren im empathischen Sinn des Existenzialismus. Dieser besteht darin, dass wir und auf Abstand von den notwendigen natürlichen Dingen befinden, dank derer wir überleben.“ Menschen sind offensichtlich imstande, ihr geistiges Leben im Licht eines Selbstporträts – eines Menschenbilds – zu führen. Menschenbilder schließen einander aus. Konkret gestaltet sich dies so, dass sich Menschen ein Bild davon machen, worin ihr Überleben besteht, das dessen natürlichen Bedingungen nicht Rechnung trägt. Dabei sind sie weit davon entfernt, ein vollständiges Wissen der Selbstorganisation ihrer Überlebensform – des menschlichen Körpers – zu haben. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Menschenbilder steuern das menschliche Verhalten

Menschen sind und bleiben Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod, als Prozessen ausgeliefert, die sie nicht vollständig im Griff haben. Das Leben ist an die Koordination von Subsystemen gebunden, die ohne vertikale Verursachung vom Ganzen aus seinen Teilen nicht verständlich sind. Schon das Überleben der Menschen ist darüber hinaus an soziale Bedingungen gebunden. Und sie befinden sich auch theoretisch auf Abstand zur eigenen Animalität.

Markus Gabriel erläutert: „Wir sind auf ein Menschenbild angewiesen, um unser schieres Überleben thematisieren zu können. Diese Menschenbilder steuern unser Verhalten: Wir handeln im Licht einer Auffassung unserer eigenen Animalität.“ Naturalismus und Religion sind zwei Pole der Antwort auf die Frage, warum Menschen überleben. Die Frage, was das Leben ist, ist entgegen naturalistischer Versicherungen übrigens nicht reduktionistisch oder mechanistisch geklärt. Der Vitalismus gilt zu Unrecht als eindeutig überholt.

Der Mensch will kein Tier sein

Der Mensch ist als Lebewesen irritiert. Er ist in seiner Animalität nicht in derselben Weise zu Hause wie andere Tiere, deren Selbststeuerung nicht über den Umweg ihrer Selbstbeschreibung verläuft. Markus Gabriel betont: „Der Mensch ist das Tier, das keines sein will.“ Irgendein Menschenbild trifft das Wesen der menschlichen Animalität, die mit der kausalen Architektur des nicht-menschlichen Universums verwoben ist. Das Verhalten eines Menschen vollzieht sich im Spielraum von Kräften und Naturgesetzen.

Man weiß nur nicht, welche objektstufige Anthropologie, also welches Menschenbild die menschliche Animalität adäquat erfasst. Markus Gabriel stellt fest: „Der Mensch ist sozusagen nach unten hin zoologisch weiterhin offen. Die Antwort auf dieses Problem ist der Widerstreit der Menschenbilder. In dieser Hinsicht hat Yuval Noah Harari in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ den richtigen Punkt getroffen. Menschen bilden Gruppen, die man als „Gesellschaften“ bezeichnen kann. Dies geschieht auf der Basis von Geschichten, die sie erzählen, um das Rätsel ihres Überlebens zu domestizieren. Quelle: „Fiktionen“ von Markus Gabriel

Von Hans Klumbies