Der „letzte Mensch“ ist schwach und müde

Aber was hat es mit dem „letzten Menschen“ auf sich? Zarathustra prognostizierte mit dieser Formel einen schwachen und müde gewordenen Charakter. Dieser erinnert in vielem an die Life-Style-Figuren der Gegenwart und ihre Convenience-Kultur. Friedrich Nietzsche schreibt im „Zarathustra“: „Wir haben das Glück erfunden, sagen die letzten Menschen und blinzeln.“ Konrad Paul Liessmann ergänzt: „Nietzsche hat hellsichtig erkannt, dass das Glück als umfassende Konzeption und Zielvorstellung des Lebens eine relativ späte Erfindung ist. Sieht man von den antiken Glückskonzepten etwa bei Aristoteles einmal ab.“ Das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl. Diese bekannte Formel des angelsächsischen Utilitarismus markiert die Erfindung des Glücks. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

Jeder Mensch darf sein Glück suchen

Ebenso tut dies der berühmte Passus in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, nach dem jeder Mensch das Recht hat, nach seinem Glück zu suchen. Friedrich Nietzsche inspirierte die in der „Götzen-Dämmerung“ zu dem bitterbösen Aphorismus: „Der Mensch strebt nicht nach Glück; nur der Engländer tut das.“ Tatsächlich erinnert Nietzsches hämische Skizze des letzten Menschen an zahlreiche Moden und Trends, die das moderne Leben und seine Ideologie ausmachen.

Konrad Paul Liessmann erklärt: „Die letzten Menschen verlassen die Gegenden, wo es hart war zu leben, und suchen die Wärme der anderen Menschen. Krankwerden gilt ihnen als sündhaft, ebenso wie die Bekundung von Misstrauen.“ Und dann steht da im Zarathustra ein gerade prophetischer Satz: „Man geht achtsam einher.“ Man kann, wenn man will, darin tatsächlich eine Vorwegnahme des Gesundheitskultes und der Achtsamkeitstrainings der Gegenwart sehen.

Alles muss Spaß machen

Diese suggerieren, dass alle Gegensätze mit ein bisschen Mindfulness in Wohlgefallen aufgelöst werden können. Natürlich arbeitet man noch, aber auch die Arbeit muss sich wie alles wie eine Unterhaltung anfühlen. Diese soll den Menschen nicht weiter angreifen. Man forciert und fordert Gamification und Entertainment als die bestimmenden Prinzipien von Arbeit, Lernen und Leben. Dass alles Spaß machen muss und die Frustrationstoleranz gegen null sinkt, unterstreicht Friedrich Nietzsches Hellsichtigkeit.

Die moderne Gesellschaft ist auch eine des Ausgleichs. Die Gegensätze von Reich und Arm sollen verschwinden, der Mittelstand dominieren. Und für die Funktionsweise solch eines sozialen Systems hat Friedrich Nietzsche eine zynische Formulierung gefunden: „Kein Hirt und eine Herde!“ Jeder will das Gleiche, jeder fühlt sich als Gleicher. Wer anders fühlen sollte, „geht freiwillig ins Irrenhaus“. Man muss das nicht so scharf formulieren. Aber der längst zur Norm erhobene Trend, dass jede noch so marginale Form von Abweichung therapiebedürftig erscheint, könnte man auch als jenen Preis betrachten, den Gleichheit unter anderem erfordert. Quelle: „Alle Lust will Ewigkeit“ von Konrad Paul Liessmann

Von Hans Klumbies