Wenn ein Mensch sein Gehirn nicht gebraucht, dann entstehen dort auch keine Spuren, das heißt, es wird nichts gelernt. Manfred Spitzer weist auf eine Studie von Wissenschaftlern der Harvard University im Fachblatt Science hin, die den Nachweis erbrachten, wie ungünstig sich elektronische Medien auf das menschliche Denken und Gedächtnis auswirken. Die amerikanischen Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Menschen dahingehend programmiert sind, sich dem Computer zuzuwenden, wenn sie mit Wissenslücken konfrontiert werden. Zudem fanden die Forscher heraus, dass Versuchspersonen, die davon ausgingen, dass der Computer bestimmte Aussagen gleich wieder löschen wurde, sich am meisten von diesen merken konnten, während andere, die glaubten, der Computer würde die Aussagen speichern, sich vergleichsweise viel weniger merkten. Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen „Lernen“ und „Vorsicht Bildschirm!“.
Offene Bemerkungen und Fragen fördern die Sprachentwicklung der Kinder
Die Russin Bluma Zeigarnik fand schon in den 1920er Jahren in Einzelexperimenten heraus, dass unerledigte Handlungen durchschnittlich nahezu doppelt so gut behalten werden wie die erledigten. Dieser Effekt wird entweder Zeigarnik-Effekt oder Cliffhanger-Effekt genannt. Manfred Spitzer erklärt: „Damit ist das Stilmittel gemeint, eine Geschichte an einer spannenden Stelle zu unterbrechen. Man kennt das aus Fernsehserien. Immer wenn es richtig spannend wird, hört die Folge auf, und man wartet gespannt auf die nächste.“
Auch in der Werbung findet man nicht selten zunächst unaufgelöste Spots oder Anzeigen, die den Betrachter zum eigenen Weiterdenken anregen und so das Einprägen des beworbenen Produkts fördern sollen. Selbst im ganz normalen Alltag findet sich das Phänomen laut Manfred Spitzer in vielerlei Zusammenhängen. Seiner Meinung nach sind zum Beispiel offene Bemerkungen und Fragen das Beste, was Eltern für die Sprachentwicklung ihrer Kinder tun können. Sie bewirken, dass die Dinge im Kopf weiter verarbeitet werden.
Unerledigte Handlungen bleiben besser im Gehirn haften als erledigte
Bluma Zeigarnik konnte auch nachweisen, dass dieser Effekt bei Kindern deutlich größer ist als bei Erwachsenen. Sie schreibt: „Charakteristisch ist für Kinder, dass sie bisweilen überhaupt nur unerledigte Handlungen behalten und die erledigten ganz oder nahezu ganz vergessen.“ Bei jüngeren Kindern ist das Bedürfnis, eine Sache zu erledigen, am stärksten ausgeprägt. Auch die eigene Unzufriedenheit mit einer entwickelten Lösung führt laut Bluma Zeigarnik zum besseren Einprägen eines Sachverhalts, sofern die Unzufriedenheit dazu führt, sich weiter mit den Dingen im Geiste zu beschäftigen.
Wenn aber unerledigte Handlungen besser im Gedächtnis haften bleiben als erledigte, dann folgt für Manfred Spitzer daraus, dass jegliche Aktivität, die einen Sachverhalt als erledigt gelten und den Menschen dies erleben lässt, dem Behalten abträglich ist. Einen Inhalt am Computer abzuspeichern, ist eine solche Tätigkeit. Und es wird damit gleichzeitig verhindert, dass das Gehirn sich die Mühe macht, hier noch etwas abspeichern zu wollen und entsprechende Prozeduren einzuleiten.
Von Hans Klumbies