Julian Baggini: "Das Glück ist ein scheues Reh"

Julian Baggini bezweifelt, dass allein das Glück dem Leben einen Sinn verleiht. Da das Glück unterschiedliche Qualitäten und Quantitäten besitz, muss der Mensch zuerst einmal darüber nachdenken, welchen Art des Glücks er sich wünscht und danach entscheiden, wie viel er davon haben möchte. Außerdem kann es für den Menschen wichtig sein, auch andere Dinge als nur das Glück zu schätzen. Der Philosoph Julian Baggini ist 1968 in Dover/ Kent geboren. Er ist Mitbegründer und Herausgeber des „Philosopher´s Magazine“. Er schreibt regelmäßig für große Zeitungen und hat mehrere Bücher veröffentlicht. Eines seiner Bücher trägt den Titel „Der Sinn des Lebens“ und ist 2005 im Piper Verlag erschienen.

Psychische Erkrankungen und Depressionen nehmen zu

Wenn sich etwas zu lohnen scheint, heißt das noch lange nicht, dass man mit totalem Einsatz danach streben sollte. Ein berühmtes Zitat von C. P. Snow drückt diesen Sachverhalt treffend aus: „Wer dem Glück hinterher jagd, wird es nie erhaschen.“ Es ist also ratsam, dem Glück nicht hinterher zujagen, weil das der einzig sichere Weg ist, es nicht zu erlangen.

Wie nie zuvor in der Geschichte haben sich die Menschen allerdings in der heutigen Zeit der Jagd nach dem Glück verschrieben, ohne aber mehr davon zu bekommen. Obwohl sich der Wohlstand in den Industrieländern seit den 50iger Jahren enorm erhöht hat, sind die Menschen nicht glücklicher als damals.

Eher das Gegenteil ist der Fall. Psychische Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen sind stark auf dem Vormarsch. Das Streben der modernen Menschen nach dem Glück scheint für Julian Baggini sinnlos zu sein und sogar zu jener Unzufriedenheit zu führen, die es unwahrscheinlich macht, dieses erstrebte Glück einzufangen.

Julian Baggini: „Es gibt kein sicheres Rezept für das Glück“

Für Julian Baggini heißt das allerdings nicht, dass der Mensch die Jagd aufgeben soll und einfach hoffen, sein Handeln werde ihn schon irgendwie glücklich machen. Der Mensch darf sich nur nicht zu sehr auf dieses Streben konzentrieren. Das Erfolgsgeheimnis liegt darin, zu entdecken, was zu Glück führt, und das zu tun. Dann stellt sich das Glück von ganz allein ein. Der große griechische Denker Aristoteles meinte, dass der Mensch glücklich ist, wenn er ein tüchtiges Leben im Einklang mit seiner Natur als rationales Wesen führt.

Baggini gibt Aristoteles Recht, indem er behauptet, dass das Glück den Menschen aus den Händen schlüpft, wenn sie sich zu viele Gedanken darüber machen. Es ist besser, einfach das Leben zu leben, das man für sinnvoll hält und das sich daraus ergebende Glück als Geschenk zu betrachten. Allerdings gibt es keine Garantie für das Gelingen, wie es auch kein sicheres Rezept für das Glück gibt.

Lebenslanges Glück wäre die Hölle auf Erden

Denn das Glück kann viele Formen annehmen und der Mensch erlangt möglicherweise niemals die vollkommene Zufriedenheit, die er sich erträumt. Der Mensch muss einfach akzeptieren, dass ihm grenzenloses Glück nicht vergönnt ist. George Bernhard Shaw drückte das folgendermaßen aus: „Aber ein lebenslanges Glück! Kein lebender Mensch würde das ertragen: es wäre die Hölle auf Erden“.

Dieses Zitat zeigt einmal mehr, dass permanentes Glück weder ein natürlicher noch ein gesunder Zustand für den Menschen ist. Julian Baggini lobt die Weisheit der Griechen, die für ihn kaum zu übertreffen ist. Viele ihrer Philosophen argumentieren, dass der Mensch, wenn er die richtige Einstellung zum Leben kultiviert hat, den Wechselfällen des Schicksals nicht hilflos ausgeliefert ist.

Unrealistische Erwartungen führen niemals zum Glück

Sokrates soll vor Gericht gesagt haben, dass einem guten Menschen kein Übel widerfahren kann, weder im Leben noch nach dem Tode. Und Epiktet meinte, es seien nicht die Dinge selbst, die dem Menschen schlaflose Nächte bereiteten, sondern ihre Einschätzungen dieser Dinge. Das vielleicht größte Hindernis auf dem Weg zum Glück liegt für Baggini im modernen Mythos vom Glück begraben.

Mit unrealistischen Erwartungen ausgestattet, wird kein Mensch jemals glücklich werden, selbst wenn er genau so viel wie andere besitzt, oder sogar mehr, als sich ein Mensch je wünschen könnte. Der moderne Mensch hat vergessen, dankbar zu sein, für das was er besitzt und ärgert sich dafür lieber, dass er etwas nicht bekommen kann. Baggini vergleicht die Sehnsucht des Menschen nach dem Glück mit einer Flamme, von der der Mensch annimmt, sie ließe sich nur löschen, wenn er sie weiter schüre. Der Misserfolg ist garantiert.

Von Hans Klumbies