In den USA beherrscht eine Minderheit die Mehrheit

Die USA waren von Anfang an eine repräsentative Demokratie. Die Gründerväter wollten verhindern, dass die Mehrheit die Minderheit unterdrücken kann. Aus diesem Grund verankerten sie in der Verfassung eine Reihe von Schutzklauseln. Darunter fallen auch Beschränkungen der staatlichen Machtausübung. Joseph Stiglitz weiß: „Im Lauf der mehr als 200 Jahre, die seither vergangen sind, hat sich die Lage jedoch verändert.“ Heute gibt es in den USA eine politische Minderheit, welche die Mehrheit beherrscht und daran hindert, im Interesse des gesamten Landes zu handeln. Denn eine große Mehrheit wäre für ein schärferes Waffengesetz und einen höheren Mindestlohn. Die meisten Amerikaner fordern einen besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung und Hochschulbildung, ohne dass man sich dafür hoch verschulden muss. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

Der Oberste Gerichtshof der USA ist nicht unparteiisch

Eine Mehrheit der Amerikaner stimmte für Al Gore, nicht für George Bush, für Hillary Clinton, nicht für Donald Trump. Mehr Wähler haben bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus für die Demokraten gestimmt. Dennoch haben die Republikaner in der Regel die Mehrheit der Abgeordneten gestellt. Teils indem sie Wahlbezirke manipulierten. Im Jahr 2018 haben die Demokraten dann endlich wieder mit einem eindeutigen Ergebnis das Repräsentantenhaus unter ihre Kontrolle gebracht.

Joseph Stiglitz stellt fest: „Eine überwältigende Mehrheit von Amerikaners stimmte für Senatoren der Demokraten.“ Und dennoch kontrollieren die Republikaner weiterhin den Senat, der eine so wichtige Rolle spielt, weil er zum Beispiel die Ernennung von Richtern am Obersten Gerichtshof bestätigen muss. Bedauerlicherweise ist Letzterer heute kein unparteiischer Schiedsrichter und Ausleger der Verfassung mehr. Sondern er ist schlichtweg zu einem weiteren parteipolitischen Schlachtfeld geworden.

Viele amerikanische Banker nehmen die Schwachen aus

Die verfassungsrechtlichen Garantien in den USA haben für die Mehrheit nichts gebracht, da heute eine Minderheit das Sagen hat. Die Folgen dieser ökonomischen und politischen Verwerfungen gehen weit über den wirtschaftlichen Bereich hinaus. Sie wirken sich auf die Natur der amerikanischen Gesellschaft und die nationale Identität aus. Eine wirtschaftliche und politische Ordnung, die sich durch einseitige Begünstigung von Interessen, Egoismus und Kurzsichtigkeit auszeichnet, bringt emotionalisierte, egoistische und kurzsichtige Menschen hervor.

Diese verstärken ihrerseits die Schwächen im amerikanischen wirtschaftlichen und politischen System. Die Finanzkrise von 2008 und ihre Folgen haben offenbart, dass viele amerikanische Banker unter dem leiden, was man als moralische Verkommenheit bezeichnen kann. Denn wie anders sollte man ihre Unehrlichkeit und ihre Bereitschaft, die Schwachen auszunehmen, nennen? Dieses Fehlverhalten ist für Joseph Stiglitz umso erstaunlicher in einem Land, dessen politischer Diskurs seit Jahrzehnten ganz im Zeichen von „Werten“ steht. Quelle: „Der Preis des Profits“ von Joseph Stiglitz

Von Hans Klumbies