Danielle Allen entwickelt eine Theorie der Gerechtigkeit

Danielle Allen entwickelt in ihrem Buch ein neues Verständnis von politischer Gleichheit für Gesellschaften großer sozialer und kultureller Vielfalt. Ausgangspunkt ihrer scharfsinnigen Analyse ist das Verhältnis zwischen negativen und positiven Rechten. Sie plädiert dafür, beiden die gleiche Wertigkeit einzuräumen. Auf diese Weise gelangt sie zu einer Theorie der Gerechtigkeit, die auf dem Prinzip „Differenz ohne Herrschaft“ basiert. Danielle Allen vertritt die These, dass sich echte politische Gleichheit nur in demokratischen Gesellschaften mit starken sozialen Bindungen verwirklichen lässt. Dazu gilt es, Differenzen auszuhalten und neue Kulturen der Interaktion aufzubauen. Und es braucht dazu eine Politik, die genau dies etwa durch sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen fördert. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

Das Wohlergehen ist eine Frage der Autonomie

Für Danielle Allen ist die moralische Gleichheit der Menschen fundamental. Sie geht zurück auf das menschliche Bedürfnis, Autor des eigenen Lebens zu sein. Das ist unverzichtbar für das grundsätzliche Wohlergehen von Menschen. Danielle Allen erläutert: „Den Kern des Gedankens menschlicher Gleichheit bildet ein Begriff von Autonomie als einem notwendigen Bestandteil von Wohl und Wert.“ Doch dabei kommt es unmittelbar zu einer Komplikation. Denn jeder Mensch lebt unter einer ganzen Reihe von gesellschaftlichen Zwängen.

Dennoch gibt es laut Danielle Allen einen Weg zur vollständigen Autonomie. Dieser besteht darin, diese sozialen Zwänge sowohl in politischer als auch in kultureller Hinsicht mitzugestalten. Daraus folgt, dass menschliches Wohlergehen eine Frage sowohl privater Autonomie als auch öffentlicher Autonomie ist. Letztere zieht dabei eine sinnvolle Beteiligung an der kollektiven Entscheidungsfindung mit sich. Das soll heißen, dass volles menschliches Wohlbefinden eine Erfahrung politischer Gleichheit verlangt.

Gerechtigkeit ist nur in einer Demokratie möglich

Danielle Allen vertritt die These, dass sich politische Gleichheit aus fünf Phänomenen zusammensetzt. Dazu zählt sie Herrschaftsfreiheit, gleichberechtigten Zugang zum Regierungsapparat und epistemistischen Egalitarismus. Dazu kommen noch gleiche, sich auf Praktiken der Gegenseitigkeit stützende Handlungsmacht sowie Mitgestaltung von und Miteigentümerschaft an den politischen Institutionen und deren weiteren Auswirkungen. Hinter allem steht jedoch der Gedanke, dass die Gleichheit der Menschen den Schutz der gleichen Grundfreiheiten bedingt.

Gerechtigkeit lässt sich nur mit demokratischen Mitteln herstellen. Denn die Demokratie trägt auf einzigartige und durch nichts anderes zu ersetzende Weise zum menschlichen Wohlergehen bei. Durch Schutzstrukturen für beide Hälften der – negativen und positiven – Grundrechte sorge die Demokratie auch für materielles Wohl. Dazu benötigt sie eine stabile ökonomische Grundlage, die auf freier Arbeit, tragfähigen Verträgen, stabilen Preisen sowie egalitären Verteilungsmustern beruht. Das Schlusswort von Danielle Allen lautet: „Der Zweck des Strebens nach Gerechtigkeit mit so verstandenen demokratischen Mitteln besteht darin, die bestmöglichen Aussichten für das individuelle und kollektive Wohlergehen der Menschheit zu schaffen.“

Politische Gleichheit
Danielle Allen
Verlag: Suhrkamp
Gebundene Ausgabe: 239 Seiten, Auflage: 2020
ISBN: 978-3-518-58751-5, 28,00 Euro

Von Hans Klumbies