Der erste Gedanke ist nicht immer der beste

Alle Menschen haben Bauchgefühle, ohne dabei zu wissen wie diese eigentlich funktionieren. In den 1980er-Jahren begann man endlich den Mechanismus der Intuition wissenschaftlich genauer zu erforschen. Zu dieser Zeit erschien auch das populäre Sachbuch des kanadischen Autors Malcolm Gladwell „Blink! Die Macht des Moments“. John Barg weiß: „Dessen Grundthese lautet, dass unser erster Gedanke in der Regel unser bester Gedanke ist, das heißt, dass intuitive Reaktionen, die keine bewusste Reflexion erfordern, verlässlicher und nützlicher sind als jene, die aus Selbstbefragung und Grübelei hervorgehen.“ Das stimmt allerdings nur bis zu einem bestimmten Grad. Einer der wichtigsten Gründe, warum sich das Unbewusste entwickelte, war die „Einschätzung“, vor allem zum Zweck der Beurteilung anderer Menschen. Prof. Dr. John Bargh ist Professor für Psychologie an der Yale University, wo er das Automaticity in Cognition, Motivation, and Evaluation (ACME) Laboratory leitet.

Das Bauchgefühl kann in die Irre führen

Im Lauf der Evolution haben die Menschen gelernt, über andere Personen und Situationen blitzschnell zu urteilen und fundierte Vermutungen anzustellen, um entscheiden zu können, ob man bleiben kann oder fliehen soll. Manchmal treffen diese unmittelbaren Einschätzungen sehr genau zu, manchmal liegen sie weit daneben. John Bargh ergänzt: „Bei der Entscheidung, ob wir jemanden trauen sollen oder nicht, dürfen wir einen wichtigen Punkt nicht übersehen: Unsere moderne Welt unterscheidet sich grundlegend von der, in der sich der Apparat für unsere unbewussten Urteile entwickelt hat.“

Genau wie bei der unbewussten Entscheidungsfindung gilt auch hier: Je mehr eine momentane Situation den Bedingungen ähnelt, mit denen die Vorfahren der heutigen Menschen in ihrer Welt konfrontiert waren, desto genau wird einen das Bauchgefühl lenken. Doch wenn die Situation eine andere ist – und es gibt tatsächlich einige bemerkenswerte Unterschiede –, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass einen das Bauchgefühl in die Irre führt.

Negative Bauchgefühle gegenüber anderen Ethnien sollte man ignorieren

Viele Menschen teilen ihre Mitmenschen sehr schnell in die Kategorien „wir“ und „sie“ ein. Sogar Babys und Kleinkinder haben automatische unbewusste Präferenzen für ihre eigene Gruppe und negative Empfindungen gegenüber Menschen aus anderen sozialen Gruppen. John Bargh stellt folgende Faustregel vor: „Wenn unser spontanes Bauchgefühl gegenüber einer Person anderer Hautfarbe oder Ethnie negativ ist, sollten wir es ignorieren.“ Solche Reaktionen sind entweder ein Überrest der evolutionären Vergangenheit oder ein Produkt der Kultur mittels der frühkindlichen Sozialisation und der Massenmedien.

Besonders den Menschen, die sich deutlich von einem selbst unterscheiden, muss man eine Chance geben, indem man hinter die oberflächlichen Aspekte blickt und sein Urteil über sie auf ihr tatsächliches Verhalten gründen. Daraus folgt eine weitere Faustregel: „Wir sollten unserer Einschätzung anderer Menschen allein anhand ihres Gesichts oder von Fotos nicht trauen, solange wir nicht mit ihnen direkt zu tun hatten.“ Denn die Evolution hat die Menschen nicht mit der Fähigkeit ausgestattet, Persönlichkeitsmerkmale aus statischen Abbildungen oder allein aus Gesichtszügen herauszulesen. Quelle: „Vor dem Denken“ von John Bargh

Von Hans Klumbies