Die Liebe, das Gefühl der Verschmelzung schlechthin, beinhaltet paradoxerweise ein Fragment der ausgedehnten und komplexen Geschichte von Autonomie und Freiheit, die zumeist in politischen Begriffen erzählt wird. Eva Illouz erläutert: „Das Genre der Liebeskomödie – das mit Menander entstand, von den Römern mit den Stücken von Plautus und Terenz fortgesetzt wurde und in der Renaissance zu neuer Blüte fand – handelte vom Anspruch junger Menschen auf Freiheit gegenüber Eltern, Lehrern und alten Männern.“ Während die Liebe in Indien und China in religiös modellierten Geschichten verhandelt wurde, einen festen Bestandteil im Leben der Götter bildete und nicht an sich gegen gesellschaftliche Autoritäten aufbegehrte, löste sie sich in Westeuropa und den Vereinigten Staaten nach und nach von der religiösen Kosmologie ab. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.
Die Liebe hatte ursprünglich einmal Gott gegolten
Hier wurde die Liebe von adligen Eliten kultiviert, die auf der Suche nach einem neuen Lebensstil waren. In der Folge entwickelte sich die Liebe, die ursprünglich einmal Gott gegolten hatte, zum zentralen Träger für die Herausbildung des emotionalen Individualismus; die Gefühle richten sich nunmehr auf eine Person, deren Innerlichkeit als eine von sozialen Institutionen unabhängige erlebt wird. Allmählich behauptete sich die Liebe gegen die Regeln der Endogamie, gegen patriarchale und kirchliche Autorität sowie die Kontrolle durch die Gemeinschaft.
Eva Illouz schreibt: „Ein Bestseller des 18. Jahrhunderts wie „Julie oder die neue Héloïse“ (1761) handelt vom Recht des Individuums auf seine Empfindungen und damit von dem Recht, das Objekt seiner Liebe nach eigenem Willen auszuwählen und zu heiraten.“ Innerlichkeit, Freiheit, Gefühle und die Möglichkeit der Wahl bildeten eine einzige Matrix, welche die Ehepraktiken und die Stellung der Ehe revolutionieren sollte. In dieser neuen kulturellen und emotionalen Ordnung wurde unter dem Willen nicht mehr die Fähigkeit verstanden, die eigenen Wünsche zu regulieren, sondern genau die entgegengesetzte Fähigkeit, diesen Wünschen gemäß zu handeln und ein Objekt zu wählen, das den individuellen, den eigenen Willen entsprungenen Gefühlen entsprach.
Die Gefühle entwickeln sich zur Quelle der menschlichen Autonomie
So gesehen entwickelten sich die romantische Liebe und die Gefühle im persönlichen Bereich zur Grundlage moralischer Ansprüche auf Freiheit und Autonomie, die sich nicht weniger machtvoll zur Geltung bringen sollten als die entsprechenden Forderungen im öffentlichen und durchweg von Männern dominierten Bereich der Politik, nur dass diese Revolution ohne sichtbare Demonstrationen, Gesetzesentwürfe und Straßenkämpfe auskam. Sie wurde ebenso von Romanautorinnen, Protofeministinnen, Philosophen und Intellektuellen vorangetrieben, die über die Sexualität nachdachten, wie von einfachen Männern und Frauen.
Der Anspruch auf emotionale Autonomie, der in der Liebe lag, war eine mächtige Wirkkraft für den gesellschaftlichen Wandel und veränderte in grundlegender Weise den Prozess der Paarbildung, die Bestimmung der Ehe und die Autorität der traditionellen sozialen Agenturen. Während sie somit dem Anschein nach eine Sache des Privatlebens und der Gefühle war, barg die romantische Liebe in Wirklichkeit einen urpolitischen Anspruch: Das Recht, das Objekt seiner Liebe selbst zu wählen, entwickelte sich nach und nach zum Recht des Individuums, seine Gefühle als Quelle seiner Autonomie zu verstehen. Quelle: „Warum Liebe endet“ von Eva Illouz
Von Hans Klumbies