Viel ist in letzter Zeit vom Hass im Internet die Rede. Konrad Paul Liessmann weiß: „Für die Verfasser von Hasspostings hat sich ein neuer Anglizismus eingebürgert: Hater. Das klingt einerseits zeitgeistiger als der dumpfe deutsche Hasser und rückt den Protagonisten in die Nähe anderer Netz-Helden, wie dem User oder dem schon in die Jahre gekommenen Surfer.“ Aber der Hater ist auch die erste Erscheinungsform des Negativen und Bösen in den sozialen Medien, die sich hier durchaus als asozial erweisen. Drohend zeichnet sich nun für Besorgte gar eine neue Herrschaft des Pöbels ab. An Vorschlägen, wie mit dieser Gefahr umzugehen sei, mangelt es nicht. Von Aufklärung über pädagogische Interventionen bis hin zur strafrechtlichen Verfolgung reicht der Katalog der Maßnahmen, die erwogen werden. Konrad Paul Liessmann ist Professor emeritus für Philosophie an der Universität Wien, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist.
Die Anonymität des Netzes fördert Tiraden des Hasses
Eher selten ist allerdings davon die Rede, dass der alten, lange verpönten Tugend der Selbstbeherrschung wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Es muss nicht jeder Affekt gleich aller Welt kommuniziert werden. Konrad Paul Liessmann vermutet: „Einer Generation, der man eingeredet hat, dass Gefühle unantastbar sind, wird das schwer zu vermitteln sein.“ Dafür beginnt die tiefenpsychologische Ausdeutung der Hater. Was sind das für Menschen, aus welchen Verunsicherungen, falschen Informationen, Lügengespinsten und Fake News speist sich dieser Hass?
Ist diese Hass Ausdruck eines Gefühls der Ohnmacht oder ein Protest gegen politisch korrekte Sprachvorschriften, sind es nur alte Ressentiments oder handelt es sich um tiefer liegende Symptome sozialer Verwerfungen? Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Das sind berechtigte Fragen. Dennoch fehlt in dieser Debatte ein wesentlicher Aspekt: die Virtualität, die all dies trägt und erlaubt. Fast niemand, so lässt sich vermuten würde einem realen Gegenüber solche Tiraden des Hasses und der Verachtung entgegenschleudern wie im Schutze der Anonymität des Netzes.“
Viele Menschen können nicht mehr zwischen Fakten und Fiktionen unterscheiden
Und Likes sind schnell vergeben, auch für das Böse. Wenn dies stimmte, stellte sich für Konrad Paul Liessmann auch folgende Fragen: „Wie wirklich ist der virtuelle Hass eigentlich? Stecken tatsächlich jene starken Emotionen und Affekte dahinter, die wir gerne unterstellen?“ Die von den Propagandisten des Netzes forcierte These, dass es keinen Unterschied zwischen Realität und Virtualität mehr gäbe, fällt nun auf diese zurück. Haben nicht viele Menschen selbst es verlernt, zwischen Fakten und Fiktionen zu unterscheiden?
Wie wäre es, betrachtete man die Hasspostings einmal so, wie Medienpädagogen in der Regel blutrünstige Computerspiele sehen: als ästhetische Ereignisse, die der Triebabfuhr dienen und dadurch sogar imstande sind, soziale Verhältnisse zu stabilisieren. Konrad Paul Liessmann schränkt ein: „Natürlich: Der Hater ist einen Schritt näher an der Realität, denn die Objekte seiner verbalen Aggressionen sind existierende, oft namentlich genannte Personen.“ Quelle: „Lauter Lügen“ von Konrad Paul Liessmann
Von Hans Klumbies
Gut wie immer