Helmut Walser Smith blickt auf den Bauernkrieg zurück

Der Bauernkrieg, der größte Aufstand in der europäischen Geschichte vor der Französischen Revolution, begann mit Revolten der Landbevölkerung im Südschwarzwald und im Bodenseeraum. Er breitete sich bis ins Allgäu und an den Oberrhein aus. Helmut Walser Smith weiß: „Schon bald nahm dieser Krieg sowohl religiösen als auch politischen Charakter an.“ Mit der Ausweitung der Aufstandsbewegung auf die Pfalz und Thüringen sowie Richtung Süden bis nach Tirol fand sie immer mehr Unterstützung, vor allem bei den Armen in den Städten. Anfang April 1525 waren nach Schätzungen heutiger Historiker nicht weniger als 300.000 Menschen bereit, gegen ihre Unterdrücker zu den Waffen zu greifen. Doch die Bauern waren den gut bewaffneten, kampferprobten Soldaten nicht gewachsen. Helmut Walser Smith lehrt Geschichte an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee.

Beatus Rhenanus vertieft den Begriff der Nation

Mit Spießen und Musketen zerschlugen reguläre Soldaten im Sold der kaiserlichen Stände erwartungsgemäß die schlecht bewaffneten, tief gespaltenen und schlecht ausgebildeten Bauernarmeen. Zeitgenössischen Berichten zufolge verloren dabei schätzungsweise mehr als 100.000 Bauern ihr Leben. Die Gewalt des Bauernkriegs veranlasste eine Reihe von Humanisten dazu, sich in ein Leben stiller Gelehrsamkeit zurückzuziehen. Einer von ihnen war Beatus Rhenanus, der Biograph des Erasmus und Herausgeber von dessen Werken. Er verbrachte die späte 1520er Jahre damit, die Erforschung der deutschen Geschichte grundlegend zu verändern.

Sein Hauptwerk „Rerum Germanicarum libri tres“ erschien 1531. Es war zuverlässig, quellenkritisch, aufgeschlossen gegenüber dem geschichtlichen Wandel und misstrauisch gegenüber Mythen. Es war laut Helmut Walser Smith die erste Geschichte Deutschlands aus der Feder eines echten Historikers. Sein Geschichtswerkt vertiefte unter anderem den Begriff der Nation. Dabei unterzog er die frühen Patrioten einer vernichtenden Kritik. Beatus Rhenanus begann das Verhältnis von Geschichte und Zeit neu zu denken.

Kausalität ist ein Phänomen der Gegenwart

Er war der erste deutsche Gelehrte, der den Begriff „Mittelalter“ verwendete. Er bezog sich dabei auf die Zeit, in der Mönche Handschriften verdarben, indem sie „Wahres mit Fabelhaftem“ vermischten, so „dass man kaum erkennen kann, was man davon glauben soll“. Geschichtsschreibung, so behauptete Beatus Rhenanus, sei kein Schema, in dem zeitliche Horizonte miteinander verschmolzen oder die Vergangenheit die Gegenwart vorwegnehme.

Helmut Walser Smith erklärt: „Die Historiographie, so postulierte er, erzähle einfach, was geschehen sei und wie. Kausalität sei ein Phänomen dieser Welt, nicht der nächsten. Und der Anachronismus, der die Gegenwart auf die Vergangenheit projiziere, biete keine Möglichkeit, frühere Zeitalter zu verstehen. Er sei schlicht fehlerhaftes Geschichtsdenken.“ Im ersten der drei Bücher erläuterte Beatus Rhenanus die germanischen Stämme und beschrieb, wo sie lebten und wohin sie wanderten. Im Wesentlichen schrieb er eine Geschichte der Wege, nicht der Wurzeln. Quelle: „Deutschland“ von Helmut Walser Smith

Von Hans Klumbies