So umstritten die Käufe von Staatspapieren durch die Europäische Zentralbank (EZB) auch waren, stellen sie für Hans-Werner Sinn doch nur die Spitze des Eisbergs der öffentlichen Kreditmittel dar, die den Krisenländern gewährt wurden. Gerettet wurden diese Staaten vorübergehend durch die Refinanzierungskredite der EZB, die den Geschäftsbanken der Krisenländer von Anfang an großzügig gegeben wurden und es ihnen ermöglichten, die fehlenden privaten Kreditmittel des Kapitalmarktes zu ersetzen. Hans-Werner Sinn erklärt: „Ein Refinanzierungskredit ist ein Kredit, den eine nationale Notenbank den Geschäftsbanken ihres Hoheitsgebiets gegen Sicherheiten mit neu geschaffenem Geld gewährt und den diese Geschäftsbanken an ihre Kundschaft weiterreichen können.“ Hans-Werner Sinn ist seit 1984 Ordinarius in der volkswirtschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Jahr 1999 wurde er Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München und Leiter des CESifo-Forscher-Netzwerks, weltweit eines der größten seiner Art.
Der Bestand an Refinanzierungskrediten muss ständig erhöht werden
Der Refinanzierungskredit ist in der Regel mit einer sehr kurzfristigen Laufzeit ausgestattet, ein paar Tage bis maximal drei Monate waren früher üblich, und muss laufend erneuert werden. Normalerweise besorgt sich eine Bank das Geld, das sie selbst an ihre Kunden verleiht, von den Sparern oder anderen Finanzinstituten. Das Geld kommt also aus der Privatwirtschaft und fließt wieder dorthin zurück. Doch für Hans-Werner Sinn gibt es dabei ein Problem: In einer wachsenden Wirtschaft wird ein immer größerer Bestand an Geld für die allgemeinen Transaktionen benötigt, weil ein Teil des Geldes ständig unterwegs ist oder in irgendwelchen Geldbörsen temporär herumliegt.
Hans-Werner Sinn fügt hinzu: „Daher muss jedes Jahr in Proportion zur nominal wachsenden Wirtschaftsleistung zusätzlich Geld geschaffen und über einen Verleih an die Geschäftsbanken in den privaten Geldkreislauf gebracht werden.“ Der Bestand an Refinanzierungskrediten muss also ständig erhöht werden. Dieser Umstand verschafft der Notenbank ständig höhere Zinseinnahmen, die sie dann an den Staatsetat abführen muss. Auch in einer wirtschaftlichen Krise wird Geld von der Notenbank benötigt.
Bei mangelndem Vertrauen füllen sich viele Geldhorte gleichzeitig
Denn in einer Wirtschaftskrise horten die Gläubiger ihr Geld lieber, statt es weiterzuverleihen, da sie Angst haben, es von den Schuldnern nicht zurückzubekommen. Also muss eine Notenbank in einem solchen Fall so viel Geld zusätzlich herstellen und verleihen, wie in die Horte fließt. Hans-Werner Sinn ergänzt: „Das Horten ist insbesondere dann ein Problem, wenn das Geld des Sparers über viele Stufen laufen muss, bis es beim endgültigen Kreditnehmer angelangt ist, der damit reale Güterkäufe finanzieren möchte.“
Wenn das Vertrauen allgemein verloren geht, werden laut Hans-Werner Sinn gleichzeitig viele Geldhorte auf einmal gefüllt. Auf jeder Stufe des Kreditflusses vom Sparer zum Endinvestor versickert so Geld in den Horten, sodass am Schluss kaum noch etwas ankommt. So kann aus einer Finanzkrise eine reale Wirtschaftskrise entstehen, die in einer Massenarbeitslosigkeit enden kann. Der Interbankenmarkt ist für Hans-Werner Sinn ein solches System mit vielen Stufen.
Von Hans Klumbies