Die westliche Kultur ist unendlich reich an Darstellungen und Geschichten, die vom wundersamen Erscheinen der Liebe im Leben der Menschen handelt – von jenem magischen Augenblick, in dem ein Mensch weiß, dass jemand für ihn bestimmt ist; vom fieberhaften Warten auf einen Anruf oder eine E-Mail; vom wohligen Schauer der Erregung, der einen beim bloßen Gedankten an die geliebte Person durchströmt. Eva Illouz weiß: „Verliebt sein heißt, zur Platonikerin zu werden: durch eine Person hindurchzusehen auf eine Idee, auf etwas im umfassenden Sinne Makelloses.“ Unzählige Romane, Gedichte und Filme lehren die Menschen, in dieser Hinsicht Platons Schüler zu werden, unterweisen sie also in der Kunst, die Vollkommenheit zu lieben, die sich in der geliebten Person manifestiert. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.
Die Zahl der scheiternden Beziehungen ist schwindelerregend hoch
Erstaunlicherweise ist diese Kultur, die doch so viel über die Liebe zu sagen hat, aber eher wortkarg, wenn es um den nicht weniger mysteriösen Moment geht, in dem es ein Mensch vermeidet, sich zu verlieben oder sich zu entlieben. In dem einem Menschen die Person, die uns schlaflose Nächte bereitete, auf einmal gleichgültig ist oder er auf Abstand geht zu denjenigen, die ihn noch vor wenigen Monaten oder Stunden in helle Begeisterung versetzt hat.
Eva Illouz erläutert: „Dieses Schweigen ist umso verwunderlicher, als die Zahl der Beziehungen, die schon bald nach ihrem Beginn wieder enden oder irgendwann im Laufe ihrer emotionalen Entwicklung zerbrechen, schwindelerregend hoch ist.“ Vielleicht weiß die westliche Kultur nicht, wie sie dieses Phänomen darstellen oder darüber nachdenken soll, weil die Menschen in und durch Geschichten und Dramen leben, sich zu entlieben aber kein Plot mit einer klaren Struktur ist.
Manche Beziehung stirbt einen rätselhaften Tod
Meistens beginnt dieser Prozess nicht mit einer Eröffnung, einer Offenbarung, sondern im Gegenteil: Manche Beziehungen schlafen ein oder lösen sich auf, noch bevor oder bald nachdem sie richtig angefangen haben, während andere einen langsamen und rätselhaften Tod sterben. Und doch bedeutet der Vorgang, in dem Liebe endet, aus soziologischer Sicht sehr viel, da es hier um die Auflösung sozialer Bindungen geht. In der vernetzten Welt der Moderne tritt der Zusammenbruch der sozialen Beziehungen und des gesellschaftlichen Zusammenhalts nicht in erster Linie in Gestalt von Entfremdung oder Einsamkeit auf.
Vielmehr scheint die Auflösung enger und intimer Bindungen stark mit dem Wachstum sozialer Netzwerke, mit Technologie und einer beeindruckenden ökonomischen Maschinerie der Beratung und Lebenshilfe zusammenzuhängen: Psychologen aller Art, Talkshow-Moderatoren, die Porno- und Sexspielzeugindustrie, die Selbsthilfebranche, Einkaufspaläste und Konsumtempel – sie alle sorgen für den permanenten Prozess des Knüpfens und Lösens sozialer Bindungen. Quelle: „Warum Liebe endet“ von Eva Illouz
Von Hans Klumbies