Der Staat übt rassistische Gewalt aus

Nach der Auffassung des Amerikanisten Chandan Reddy gründet der Staat in rassistischer Gewalt. Diese übt er nach wie vor systematisch gegen Minderheiten aus. In den Vereinigten Staaten und anderswo bezeichnet die Polizei People of Colour als „gewalttätig“. Selbst da, wo sie einfach weggehen oder weglaufen, sich beschweren wollen oder einfach nur tief schlafen. Judith Butler kritisiert: „Es ist schon sehr merkwürdig und empörend zu sehen, wie man Gewalt unter solchen Umständen rechtfertigt. Diejenigen, auf die sie abzielt, müssen als Bedrohung, selbst als Träger realer Gewalt dargestellt werden, damit tödliche Polizeieinsätze als Selbstverteidigung erscheinen können.“ Hat die fragliche Person überhaupt nichts sichtbar Gewalttätiges getan, galt sie einfach nur als gewalttätig. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

Demonstranten bezeichnet man gerne als „Mob“

Was sich also zunächst als moralische Auseinandersetzung für oder gegen Gewalt darstellt, entwickelt sich schnell zu einer Debatte darüber, wie Gewalt definiert ist und wen man als „gewalttätig“ einstuft. Immer wieder findet sich eine Gruppe Menschen zusammen, um gegen Zensur oder mangelnde demokratische Freiheiten zu demonstrieren. Diese Gruppe bezeichnet man gerne als „Mob“ oder als chaotische und destruktive Bedrohung der sozialen Ordnung.

Das bedeutet zugleich, dass sie als tatsächlich oder potenziell gewalttägig gilt. Das hat zur Folge, dass der Staat sein Einschreiten als Verteidigung der Gesellschaft gegen eine gewaltsame Bedrohung rechtfertigen kann. Judith Butler ergänzt: „Folgen darauf Gefängnis, Verletzungen oder Tötungen, ist diese Gewalt Staatsgewalt. Staatliche Gewalt können wir als „Gewalt“ auch dort bezeichnen, wo sie Kraft eigener Macht andere Positionen bestimmter Gruppen als „gewalttätig“ kennzeichnet.“ So lässt sich beispielsweise eine friedliche Demonstration effektiv als „Gewaltakt“ nur darstellen, wo der Staat über seine eigenen Medien verfügt.

Gewalt lässt sich nicht eindeutig definieren

Unter derartigen Bedingungen gilt dann die Ausübung des Rechts auf Versammlungsfreiheit als „Terrorismus“. Das zieht wiederum staatliche Zensur, Polizeiknüppel und Tränengas, Kündigungen, unbefristete Inhaftierungen, Haftstrafen und Exil nach sich. Die Lage wäre einfacher, könnte man Gewalt eindeutig und im Konsens definieren. Das ist aber unmöglich in einer politischen Situation, in der der Staat oppositionelle Handlungen als Gewalt definiert.

Unter solchen Umständen muss man Gewaltzuschreibungen als unwahr und unfair zurückweisen. Argumente für Gewaltlosigkeit setzen Klarheit darüber voraus, wie man Gewalt vorstellt. Darüber hinaus muss man die Muster zu kritisieren versuchen, nach denen staatliche Gewalt sich selbst rechtfertigt. Und ebenso muss man die Beziehung zwischen diesen Rechtfertigungsmustern und der Bemühung um den Erhalt des Gewaltmonopols analysieren. Denn dieses Gewaltmonopol hängt von einer Benennungspraxis ab, in der man Gewalt oft als rechtliche Zwangsmaßnahme verschleiert. Quelle: „Die Macht der Gewaltlosigkeit“ von Judith Butler

Von Hans Klumbies