Am Ende des Kampfes gegen das Ressentiment steht die Selbsterweiterung

Cynthia Fleury untersucht in ihrem Buch „Hier liegt Bitterkeit begraben“ das Ressentiment, die Unzufriedenheit und Bitterkeit, die Demokratien zu zerreißen drohen. Die Autorin schreibt: „Man muss das Bittere begraben. Und darauf wächst etwas anderes. Kein Boden ist jemals für immer verflucht: eine bittere Fruchtbarkeit, die das künftige Verständnis begründet.“ Cynthia Fleury ist der Auffassung, dass es in der Fähigkeit, zu ihrem eigenen Ressentiment auf Distanz zu gehen oder nicht, zwischen den Menschen einen radikalen Unterschied gibt. Die Bekämpfung des Ressentiments lehrt die Notwendigkeit der Toleranz gegenüber Ungewissheit und Ungerechtigkeit. Am Ende dieser Auseinandersetzung steht das Prinzip der Selbsterweiterung. Die Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury ist unter anderem Professorin für Geisteswissenschaften und Gesundheit am Conservatoire National des Arts et Métiers in Paris.

Das Ressentiment ist ein Versagen von Herz und Verstand

Die Sehnsucht nach dem Haben kann ein sehr sicheres Gift für die Seele sein. Der Psychoanalytiker Donald Winnicott beschreibt sie auch als eines der wesentlichen Elemente, um das „falsche Selbst“ zu definieren. Cynthia Fleury betont: „Der Begriff des „falschen Selbst“ ist entscheidend, um die psychische Natur des Ressentiment-Menschen zu erfassen: Ebenso wie er nicht agiert, sondern reagiert, ist er auch nicht, er versteckt sich, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist.“

Das Ressentiment ist ein Versagen von Seele, Herz und Verstand. Man darf dem Ressentiment nicht nachgeben. Man muss das Unheilbare sublimieren und sich der Zerstörung widersetzen, die es hervorrufen kann. Friedrich Nietzsche sagt: Der Mensch, der dem Ressentiment entgeht, entgeht ihm nicht von vornherein, das ist immer die Frucht einer Arbeit. Und man muss dieses Werk unablässig wiederholen. Cynthia Fleury hat es schon oft gesagt, doch scheint ihr die Herausforderung, das Ressentiment zu bekämpfen, in der Analyse das Wichtigste zu sein.

Die Bitterkeit ist auch eine Form der Heilung vom Ressentiment

Die Hoffnung muss ein gewisses Maß an Uneigennützigkeit aufweisen, um funktionsfähig zu sein. Das Offene gegen das Ressentiment, definitiv. Aber von Fall zu Fall ist die Sache nicht leicht, und man muss sich oft zwingen, über die bloße Ebene der Idee hinauszugehen. Cynthia Fleury beschreibt eine weitere Definition des Ressentiments. Es ist eine Bewegung, die ihre Opfer nach und nach umklammert, eine unförmige Plastizität. Diese ist umso effizienter, als sie die Illusion erweckt, keinen Körper und keinen Kopf mehr zu haben, obwohl sie eine Hydra mit hunderttausenden von Köpfen ist.

Das Territorium der Literatur ermöglicht, sämtliche Ressentiments zu sublimieren und gerade die Bitterkeit der Dinge, Wesen und Ideen zu schätzen. Cynthia Fleury schreibt: „An der Bitterkeit Geschmack zu finden, diese Fähigkeit zu entwickeln, hilft uns, zu Vermessern der Welt zu werden.“ Wenn man diesen Geschmack nicht fürchtet, wenn man ihn zu schätzen weiß, erhöht er die Dichte der Welt. Der Geschmack an der Bitterkeit ist auch eine Form der Heilung vom Ressentiment.

Hier liegt Bitterkeit begraben
Über Ressentiments und ihre Heilung
Cynthia Fleury
Verlag: Suhrkamp
Gebundene Ausgabe: 314 Seiten, Auflage: 2023
ISBN: 978-3-518-58795-9, 28,00 Euro

Von Hans Klumbies