Zeit ist das Maß der Veränderung

Aristoteles war der Erste, der sich mit dem Problem der Zeit befasst hat. Er gelangte zu dem Schluss, dass die Zeit das Maß der Veränderung ist. Die Dinge verändern sich ständig. Carlo Rovelli erläutert: „Wir nennen „Zeit“ das Maß, die Zählbarkeit ihres Wandels.“ Der Gedanke des griechischen Philosophen ist solide: Zeit ist das, worauf man sich bezieht, wenn man nach dem „Wann“ fragt. Die Frage nach dem Wann bezieht sich auf ein Geschehen. „Ich kehre in drei Tagen zurück“, heißt, dass die Sonne zwischen Abreise dreimal über den Himmel gezogen ist. Aber falls sich nichts verändert, sich nichts bewegt, vergeht dann keine Zeit? Aristoteles sah es so. Carlo Rovelli ist seit dem Jahr 2000 Professor für Physik in Marseille.

Die „wahre“ Zeit läuft unabhängig von Geschehnissen ab

Auch die Zeit, deren Vergehen man in sich spürt, ist das Maß der Veränderung, nämlich einer in einem selbst. Wenn sich nichts bewegt, gibt es keine Zeit, weil die Zeit nur die Spur der Bewegung ist. Isaac Newton vertritt das genaue Gegenteil. In seinem Hauptwerk „Principia“ schreibt er: „Zeit […] als allen bekannt, erkläre ich nicht. Ich bemerke nur, dass man gewöhnlich diese Größen nicht anders als in Bezug auf die Sinne auffasst und so gewisse Vorurteile entstehen. Zu deren Aufhebung unterscheidet man sie passend in absolute und relative, wahre und scheinbare, mathematische und gewöhnliche.“

Isaac Newton fährt fort: „Die relative, scheinbare und gewöhnliche Zeit ist ein fühlbares und äußerliches, entweder genaues oder ungleiches, Maß der Dauer. Man bedient sich dessen gewöhnlich statt der wahren Zeit, wie Stunde, Tag, Monat, Jahr.“ Mit anderen Worten: Isaac Newton stimmt Aristoteles zu, wonach es die „Zeit“ gibt, die Tage und Bewegungen misst. Aber daneben so erklärt er, muss es noch eine andere Zeit geben. Nämlich die wahre Zeit, sie sowieso und unabhängig von den Dingen und Geschehen abläuft.

Die „wahre“ Zeit ist nur durch Berechnung zugänglich

Wenn alle Dinge reglos stehen blieben und auch der Fluss der Gedanken und Gefühle zum Stillstand käme, würde diese Zeit, so Isaac Newton, weiterhin unbeirrt und sich selbst gleich vergehen: die „wahre“ Zeit. Hier nimmt er die gegenteilige Position zu Aristoteles ein. Die „wahre“ Zeit, sagt Isaac Newton, ist nicht unmittelbar, sondern nur indirekt durch Berechnung zugänglich. Es ist auch nicht die von den Tagen vorgegebene, denn diese sind eigentlich ungleich.

Diese Ungleichheit verbessern die Astronomen, indem sie die Bewegung der Himmelskörper nach der richtigen Zeit messen. Für einige Jahrhunderte schlug sich der Verstand anscheinend auf Isaac Newtons Seite. Basierend auf der Vorstellung einer von den Dingen unabhängigen Zeit, ermöglichte es sein Modell, eine moderne Physik zu errichten. Diese funktioniert verdammt gut. Sein Ansatz geht davon aus, dass die Zeit als eine Entität existiert, die gleichförmig und unbeirrbar abläuft. Quelle: „Die Ordnung der Zeit“ von Carlo Rovelli

Von Hans Klumbies