Die Zeit vergeht unterschiedlich schnell

Albert Einstein erkannte, dass die Zeit von Massen gebremst wird. Carlo Rovelli erklärt diesen Zusammenhang an einem einfachen Beispiel. Ein Mensch bleibt an einer Stelle stehen, ein anderer läuft hin und her. Für denjenigen, der sich fortbewegt, vergeht die Zeit langsamer. Die beiden Menschen erleben eine jeweils andere Zeitdauer: Derjenige, der läuft, altert langsamer, seine Uhr zeigt am Ende eine frühere Zeit an, und er hat weniger Zeit zum Nachdenken. Für alles was sich bewegt, läuft die Zeit langsamer ab. Damit dieser winzige Effekt sichtbar wird, braucht es eine hohe Geschwindigkeit. Erstmals gemessen wurde er in den 1970er Jahren mit Präzisionsuhren an Bord eines Düsenflugzeugs. Eine fliegende Uhr geht gegenüber einer am Boden verbliebenen nach. Carlo Rovelli ist seit dem Jahr 2000 Professor für Physik in Marseille.

Phänomene ereignen sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten

Heute ist die Zeitverzögerung durch Geschwindigkeit in vielen physikalischen Experimenten unmittelbar messbar. Auch diese Art der Zeitverzögerung hatte Albert Einstein erkannt, noch ehe das Phänomen beobachtet werden konnte: mit fünfundzwanzig Jahren, als er sich mit dem Elektromagnetismus befasste. Und seine Schlussfolgerung war nicht einmal besonders kompliziert: Elektrizität und Magnetismus werden von den Maxwell-Gleichungen gut beschrieben.

Diese enthalten die übliche Variable t, zeigen aber eine kuriose Eigenschaft: Wenn man sie mit einer bestimmten Geschwindigkeit fortbewegt, gelten sie nicht mehr, es sei denn, man bezeichnet eine andere Variable als „Zeit“: t´. Diese seltsame Besonderheit war Mathematikern schon aufgefallen, aber keiner konnte sich darauf einen Reim machen. Albert Einstein begriff es: t ist die Zeit, die vergeht, wenn man stillsteht, das Tempo, in dem sich die Phänomene ereignen, die mit einer Person stillstehen. t´ ist dagegen die Zeit einer anderen Person: das Tempo, in dem sich die Phänomene ereignen, die sich mit der anderen Person bewegen.

Die „Gegenwart“ eines Menschen erstreckt sich nicht auf das gesamte Universum

t ist die Zeit, die eine stillstehende Uhr misst, t´ diejenige, die eine in Bewegung befindliche Uhr anzeigt. Für ein Objekt in Bewegung vergeht folglich weniger Zeit als für eines im Stillstand. Für ein Objekt in Bewegung hat sich die Zeit ausgedehnt. Nicht nur, dass es keine gemeinsame Zeit an verschiedenen Orten gibt, es gibt noch nicht einmal eine einheitliche Zeit an einem einzigen Ort. Die Zeitdauer kann nur einer Bewegung von etwas, einer gegebenen Bahn zugeschrieben werden.

Die „Eigenzeit“ hängt nicht nur davon ab, wo sich der Beobachter aufhält, von der größeren oder geringeren Nähe zu Massen, sondern auch von der Geschwindigkeit, mit der er sich bewegt. Die „Gegenwart“ eines Menschen erstreckt sich nicht auf das gesamte Universum. Sie ist wie eine Blase, die einen relativ eng umgibt. Wie ausgedehnt ist diese Blase? Das hängt davon ab, mit welcher Genauigkeit man die Zeit definiert. Für Nanosekunden ist die Gegenwart nur wenige Meter, für Millisekunden für Kilometer definiert. Quelle: „Die Ordnung der Zeit“ von Carlo Rovelli

Von Hans Klumbies