Das Erleben ist eine Form des Seins

Erleben heißt, abstrakt formuliert, Informationen konsumieren. Byung-Chul Han erklärt: „Wir wollen heute mehr erleben als besitzen, mehr sein als haben. Das Erleben ist eine Form des Seins.“ So schreibt Erich Fromm in „Haben oder Sein“: „Haben bezieht sich auf Dinge […]. Sein bezieht sich auf Erlebnisse […]. Erich Fromms Kritik, die moderne Gesellschaft orientiere sich mehr am Haben als am Sein, greift heute nicht ganz. Denn viele Menschen leben heutzutage ein einer Erlebnis- und Kommunikationsgesellschaft, die das Sein dem Haben vorzieht. Für sie gilt nicht mehr die alte Maxime des Habens: „Ich bin umso mehr, je mehr ich habe. Die neue Maxime des Erlebens lautet: Ich bin umso mehr, je mehr ich erlebe.“ Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt

Bindungen sind unzeitgemäß

TV-Sendungen wie „Bares für Rares“ geben ein beredtes Zeugnis für den unmerklich vonstattengehenden Paradigmenwechsel ab. Schmerzlos, ja fast herzlos trennen sich Menschen von den Dingen, die früher Herzensdinge waren. Bezeichnenderweise wollen die meisten Teilnehmer der Sendung für Geldscheine, die sie von Händlern ausgehändigt bekommen, „reisen“. Es scheint als wären Reisen Rituale der Trennung von den Dingen. Die Erinnerungen, die in den Dingen aufbewahrt sind, haben plötzlich keinen Wert mehr.

Sie haben neuen Erlebnissen zu weichen. Offensichtlich vermögen viele Menschen heute nicht mehr bei den Dingen zu verweilen oder sie zu ihren treuen Begleitern zu erheben. Byung-Chul Han stellt fest: „Herzensdinge setzen eine intensive libidinöse Bindung voraus. Wir wollen uns heute weder an die Dinge noch an die Personen binden. Unzeitgemäß sind Bindungen. Sie schmälern die Erlebnismöglichkeiten, nämlich die Freiheit im konsumistischen Sinne.“ Selbst vom Konsum der Dinge erwarten manche Menschen inzwischen Erlebnisse.

Die Erlebnisökonomie löst die Dingökonomie ab

An den Dingen wird deren Informationsgehalt, etwa das Image einer Marke, wichtiger als der Gebrauchswert. Man nimmt die Dinge primär auf die in ihnen eingelagerten Informationen hin wahr. Menschen kaufen und konsumieren Emotionen, indem sie Dinge erwerben. Produkte werden mittels Storytelling mit Emotionen aufgeladen. Entscheidend für die Wertschöpfung ist die Produktion distinguierender Informationen, die dem Konsumenten besondere Erlebnisse, ja das Erlebnis des Besonderen versprechen.

Byung-Chul Han betont: „Informationen werden immer wichtiger als das Dingliche an der Ware. Der ästhetisch-kulturelle Inhalt einer Ware ist das eigentliche Produkt. Die Erlebnisökonomie löst die Dingökonomie ab.“ Informationen lassen sich jedoch nicht so leicht in Besitz nehmen wie die Dinge. So entsteht der Eindruck, als gehörten sie allen. Der Besitz bestimmt das Ding-Paradigma. Die Welt aus Informationen wird nicht durch Besitz, sondern durch Zugang geregelt. Quelle: „Undinge“ von Byung-Chul Han

Von Hans Klumbies