In ihrem neuen Buch „Die Verlockung des Autoritären“ beantwortet Anne Applebaum die Frage was die Rückkehr zu autoritären Herrschaftsformen für viele Menschen so erstrebenswert macht. Dabei zeigt sie, welche Rolle dabei die sozialen Medien, Verschwörungstheorien und Nostalgie spielen. Sie unternimmt einen Streifzug durch die westliche Welt, die sich auf erschreckender Weise nach einer harten Hand und einem starken Staat sehnt. Zu in diesem Buch beschriebenen Menschen gehören nationalistische Ideologen genauso wie hochgesinnte politische Essayisten. Die einen verfassen anspruchsvolle Bücher, andere lancieren Verschwörungstheorien im Internet. Manche Menschen genießen das Chaos und wollen es herbeiführen, um der Gesellschaft eine neue Ordnung aufzuzwingen. Anne Applebaum ist Historikerin und Journalistin. Sie arbeitet als Senior Fellow an der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University.
Sehr viele Menschen haben eine autoritäre Veranlagung
Anne Applebaum vertritt folgende These: „Unter den passenden Bedingungen kann sich jede Gesellschaft von der Demokratie abwenden. Und wenn man überhaupt etwas aus der Geschichte lernen kann, dann vielleicht, dass alle unsere Gesellschaften dies früher oder später tun werden.“ Unlängst behauptete die Verhaltensökonomin Karen Stenner, dass rund ein Drittel der Bevölkerung jedes beliebigen Landes eine autoritäre Veranlagung habe. Diese Menschen sehnen sich nach Homogenität und Ordnung. Der Autoritarismus spricht zudem Personen an, die keine Komplexität aushalten.
Schon die antiken Philosophen hatten ihre Zweifel an der Demokratie. Platon fürchtete „falsche Sätze und hoffärtige Meinungen“. Und er sah in der Volksherrschaft einen möglichen Schritt auf dem Weg zu Tyrannei. Die Philosophin Hannah Arendt beschrieb die „totalitäre Persönlichkeit“ als radikal isolierte Menschen. Die Vorkämpfer der amerikanischen Republik erkannten die Gefahr, die korrupte Politiker für die Demokratie darstellen konnten. Deshalb dachten sie gründlich darüber nach, wie Institutionen auszusehen hatten, die dem standhalten.
Die illiberale Einparteienherrschaft keine Philosophie
Der nicht freiheitliche Einheitsstaat wurde erst 1917 von Lenin in Russland erfunden. Heute ist er auf der ganzen Welt verbreitet. In seine Fußstapfen treten viele der Autokraten von heute. Als Beispiele nennt Anne Applebaum China, Venezuela und Zimbabwe. Im Gegensatz zum Marxismus ist die illiberale Einparteienherrschaft keine Philosophie. Sie ist ein Mechanismus des Machterhalts und verträgt sich mit vielen Ideologien. Sie funktioniert, weil sie zweifelsfrei definiert, wer der Elite angehört – der politischen Elite, der kulturellen Elite, der finanziellen Elite.
Kein politischer Sieg ist für die Ewigkeit, keine Definition der Nation ist von Dauer, und keine Elite, sei es eine aus Populisten, aus Liberalen oder Aristokraten herrscht für immer. Doch bei genauerem Hinsehen erkennt man Zeiten des kulturellen Lichts oder der despotischen Finsternis. Auch die Geschichte der Gegenwart wird sich eines Tages so präsentieren. Einigen mag die aktuelle Ungewissheit Angst einjagen, doch diese Ungewissheit gab es immer. Die Gewaltenteilung der demokratischen westlichen Verfassungen hat nie eine dauerhafte Stabilität garantiert. Freiheitliche Demokratien verlangen ihren Bürgern immer etwa ab. Nämlich Teilnahme, Diskussion, Einsatz und Auseinandersetzung.
Die Verlockung des Autoritären
Warum antidemokratische Herrschaft so populär geworden ist
Anne Applebaum
Verlag: Siedler
Gebundene Ausgabe: 208 Seiten, 2. Auflage: 2021
ISBN: 978-3-8275-0143-1, 22,00 Euro
Von Hans Klumbies