Die sozialen Medien fördern den Narzissmus

Von den sozialen Medien ist kein Funke sozial. Anders Indset betont: „Keine Spur von Mitmenschlichkeit ist in ihnen zu erleben, sondern pure „Narzisterie“: eine Hysterie um einen ichischen Gefällt-mir-Button – eine Narzissmusmaschine zur Stärkung des Egos.“ Dabei schwächt die „Narzisterie“ das Ego durch die Entfremdung vom eigenen Ich. Die Visualisierung und Optimierung, der Filter-Fuck und die Definition über das „Gefällt mir“ ist ein Trieb. Womöglich folgt eine Zukunft, in der Menschen mit einem Schmunzeln darauf zurückschauen, wofür ihre Vorfahren Anfang des 21. Jahrhunderts Zeit aufgewendet haben. Die Gefälligkeit und Beliebigkeit des Liken und Ent-Liken, Folgen und Ent-Folgen – wer hat was geschaut und wann. Ich folge dir, bin dein Fan und Freund, aber nur wenn du mir Like und Follow zurückgibst. Anders Indset, gebürtiger Norweger, ist Philosoph, Publizist und erfolgreicher Unternehmer.

Die Gefälligkeitsökonomie beherrscht Facebook

Dabei unterliegen die Kanäle denselben Wirkkräften wie die über sie transportierten Inhalte. Die Gefälligkeitsökonomie lässt das große Facebook in Ursprungsform sterben, und ein neuer Kanal wird sich als neuer „heißer Scheiß“ der Kommunikation präsentieren und folglich die Gesellschaft beeinflussen. Anders Indset weiß: „Die Nutzung in der Altersgruppe 12 bis 17 geht seit 2016 kontinuierlich zurück. Sie nutzt Adblocker, News-Filter und kennt Serien wie die Netflix-Doku „The Social Dilemma“.“

So bleibt, wenn der Appetit für Rückwärts-Salto-Katzen-Videos nachlässt ein sporadisches „Ghosting“. Der vergeblich Angebetete, der ehemalige Lebenspartner oder ein flüchtiger Freund verschwinden hinter einer schlecht designten Wall. Die Befreiung des narzisstischen Ichs hinterlässt in einer Welt der natürlichen Selektion nur noch folgende Fragen. Wie wird man dem Attentionalismus gerecht, wenn man Substanz besitzt? Wie kann man entdeckt, gesehen und gefunden werden, ohne zu schreien, ohne Selfies mit Verkaufsbezug?

Das Teilen geht der Essenz voraus

Anders Indset zieht folgende Zwischenbilanz: „Wir können nicht mit, aber auch nicht ohne die sozialen Medien.“ So stehen viele heute vor der Entscheidung: Soll ich teilen oder nicht, bin ich relevant oder nicht? Auch wenn man gegen den ganzen Publikationswahn ist, es fehlt an Alternative. Teilen und Schreien hat eine existenzielle Dimension erreicht. „Ich teile, also bin ich“, könnte eine pervertierte Form des Grundsatzes von René Descartes „Cogito ergo sum“ heute lauten.

Die nicht geteilte Nachricht bleibt genauso verborgen wie die fantastischen Produkte eines lokalen Tante-Emma-Ladens für die Weltgemeinschaft. Anders Indset stellt fest: „Ohne Aufmerksamkeit, keine Ökonomie.“ Es sind also der Kapitalismus und der Druck des wirtschaftlichen Daseins, die inzwischen auch reine Künstler in die Gefälligkeit drängen. Die Existenz geht der Essenz voraus, heißt es nun: Das Teilen geht der Essenz voraus. Nur dann ist der Mensch jemand. Quelle: „Das infizierte Denken“ von Anders Indset

Von Hans Klumbies