Wenn sie über die Einführung neuer Normen, Gesetze oder Reformen diskutieren, wenden sich Entscheidungsträger und Journalisten oft an Experten. Meistens handelt es sich dabei um Intellektuelle, die sich in einem bestimmten Gebiet profiliert haben oder im Ruf stehen, über ein Thema kritisch nachzudenken. Experten und Intellektuelle haben einen Einfluss auf die Denkprozesse, die zu einer Entscheidung führen. Allan Guggenbühl erklärt: „Die Hoffnung ist, dass sie sich nicht durch kollektive Debatten und Standardparadigmen vereinnahmen lassen, sondern sich im öffentlichen Diskurs durch geistige Unabhängigkeit und kritischen Geist auszeichnen.“ Bei Experten sollte es sich um Menschen handeln, die sich zur Aufgabe gemacht haben, nachzudenken und frei von Abhängigkeiten zu argumentieren. Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.
Intellektuelle warnen vor Fehlentwicklungen
Experten präsentieren nicht einfach Lösungen, sondern bohren tiefer und denken weiter. Sie widmen sich der Sache und sind an Inhalten interessiert. In den meisten westlichen Ländern gibt es namhafte Intellektuelle, die durch ihre Lebensweise einen unabhängigen Geist bewahren; ketzerische Denker, die sich öffentlich Themen annehmen und Warnungen aussprechen, wenn sie gesellschaftliche Fehlentwicklungen befürchten oder Missstände erkennen. Sie stellen womöglich Forderungen auf, auch wenn diese unbequem sind.
Allan Guggenbühl erläutert: „Die Stimme Intellektueller oder Experten beleben den öffentlichen Diskurs und lösen unter Umständen Debatten und ein vertieftes Nachdenken aus.“ Die unabhängigen Stimmen der Intellektuellen und die sachlichen Argumentationen der Experten sind das „Salz in der Suppe einer Demokratie“. Leider sind sie jedoch nicht vor unkritischer Anpassung an den Zeitgeist gefeit. Auch intelligente Köpfe sind Menschen, können sich irren und offensichtliche Gefahren oder Fehlentwicklungen übersehen.
Stände neigen zu geistiger Selbstbeschränkung
Niemand ist vor dem eigenen Narzissmus gefeit. Man vernimmt gerne die eigene Stimme im kollektiven Drama, hat das Gefühl von Größe, wenn einen die Presse beachtet oder man sogar zum Promi aufsteigt. In dieser Position ist die Gefahr groß, dass man ein willfähriger Apologet des Zeitgeistes wird. Man wiederholt, was bereits Tausende andere Personen gesagt haben. Das eigene Ego wird narzisstisch aufgeladen und es kommt zu einem Rückkopplungseffekt. Wenn die Umgebung zustimmt, man beklatscht und mit Preisen überhäuft wird, dann muss es doch stimmen, was man sagt.
Eine weitere Gefahr ist laut Allan Guggenbühl, dass Experten und Intellektuelle den Argumentationsraum ihrer Bezugs- und Berufsgruppen nicht verlassen. Dann geht es nicht mehr um vertieftes Nachdenken, sondern das Propagieren des Standeswissens. Es werden nicht neue Schlussfolgerungen gezogen, sondern die intern angedachten Lösungen präsentiert. Stände neigen zu geistiger Selbstbeschränkung. Der Bezugsgruppe zuliebe werden zu explosive Themen temporär oder permanent aus dem Bewusstsein verdrängt. Quelle: „Die vergessene Klugheit“ von Allan Guggenbühl
Von Hans Klumbies