Motivation schützt vor Erschöpfung

Sich erschöpft zu fühlen und durch anstrengende Arbeit „erledigt zu sein“ ist real und alles andere als selten. Aber es ist auch bekannt, dass Menschen, wenn sie motiviert genug sind, einfach unbeirrt weitermachen können. Walter Mischel nennt ein Beispiel: „Wenn wir verliebt sind, können wir eine Zeit – egal ob einen Tag, eine Woche oder einen Monat – durchhalten, die uns schlaucht und Kraft kostet, bis wir dann endlich den geliebten Menschen treffen.“ Manche Menschen schalten, wenn sie erschöpft sind, nicht den Fernseher ein, sondern joggen stattdessen zum Fitnessstudio. Gemäß der motivationalen Deutung der Bereitschaft, sich anzustrengen, hängt es von Einstellungen, Selbststandards und Zielen ab, wann einen Mensch seine Anstrengungen anspornen, statt ihn zu ermüden, und wann er sich besser entspannen, ein Nickerchen machen oder sich selbst belohnen sollte. Walter Mischel zählt zu den bedeutendsten und einflussreichsten Psychologen der Gegenwart.

Der Aufschub von Belohnungen kann unklug sein

Wenn Menschen glauben, anspruchsvolle Aufgaben würden sie beleben und nicht auslaugen, schneiden sie bei einer späteren Aufgabe besser ab. Man braucht keine Experimente oder Philosophen, um zu wissen, dass ein Übermaß an Willensstärke genauso kontraproduktiv sein kann wie ihr Mangel. Die Belohnungen immer aufzuschieben und dafür unentwegt zu arbeiten, kann eine unkluge Entscheidung sein. Im Extremfall führt der Aufschub von Belohnungen zu einem trübseligen, sterilen Leben mit permanent aufgeschobenen Freuden und verpassten Zerstreuungen.

Dazu kommen nie erlebte Emotionen und vielleicht sogar das Gefühl, sein Leben nicht gelebt zu haben. Seine Erkenntnisse über die Fähigkeit zur Selbstkontrolle führten Walter Mischel zu mehreren wichtigen Schlussfolgerungen. Erstens können einige Menschen – das ist wenig überraschend – Verlockungen besser widerstehen und unangenehme Emotionen besser regulieren als andere. Zweitens treten diese Unterschiede erstaunlicherweise bereits in den Vorschuljahren zutage. Sie sind bei den meisten, wenn auch nicht bei allen Menschen über lange Zeit stabil.

Selbstkontrolle kann vor Verwundbarkeiten schützen

Außerdem geben die Unterschiede Aufschluss über äußerst wichtige psychologische und biologische Folgen in späteren Lebensjahren. Walter Mischel ergänzt: „Die herkömmliche Auffassung, der zufolge Willenskraft ein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal sei, das man entweder in hohem Maße oder gar nicht besitze, ist falsch. Vielmehr können wir kognitive und emotionale Kompetenzen der Selbstkontrolle lernen, verbessern und gezielt nutzen, sodass sie, wenn nötig, automatisch aktiviert werden können.“

Andererseits können Menschen ihre Fähigkeiten zur Selbstkontrolle auch brachliegen lassen, und selbst wenn sie reichlich davon besitzen, fehlen ihnen vielleicht die Ziele, die Werte und die nötige Unterstützung des sozialen Umfelds, um sie konstruktiv zu nutzen. Menschen müssen also nicht Opfer ihrer sozialen und biologischen Vorgeschichten werden. Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle kann sie vor ihren Verwundbarkeiten schützen. Vielleicht beseitigt sie diese Schwachstellen nicht vollständig, aber sie kann einem Menschen helfen, besser damit zurechtzukommen. Quelle: „Der Marshmallow-Test“ von Walter Mischel

Von Hans Klumbies