Die Demokratie wirkt manchmal ohnmächtig

Wie der Staat beugen sich auch viele Bürger dem Gesetz des Ultrakapitalismus. Dies geschieht aus Ohnmacht, Orientierungslosigkeit und Opportunismus. In den vergangenen vier Jahrzehnten boten die Demokratien keine realistische Alternative zu einer Politik, die sich halb resigniert, halb geschmeidig in den Dienst der Kapital- und Arbeitgeber stellte. Roger de Weck warnt: „Die liberale Demokratie wird jedoch undemokratisch, wenn sie stets den Sachzwängen einer Machtwirtschaft unterliegt, die sie nicht zu ordnen vermag.“ Ein bisschen mehr nach rechts, ein Spürchen nach links – die Wähler wählen, und dann entscheidet der Markt? Auf die Dauer spüren alle, dass in der Wirtschaftspolitik die Regierung tut, was eine andere Regierung auch täte. Die Franzosen sprechen hier vom Einheitsdenken. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

Reaktionäre sehnen sich nach einem starken Mann

Unterschiede schrumpfen zu Nuancen. In Wahlkämpfen entbrennt heftiger Widerstreit der gleichen Meinungen. Das wertet die ganz anderen Themen der Reaktionäre auf, ihre Kampfthemen und an erster Stelle ihren Rassismus. Wenn die Demokratie keine echten Alternativen bietet, sucht man nach Alternativen zur Demokratie. Genau da setzen die Reaktionäre an, sie bieten Pseudoalternativen. Der starke Mann – denn offenbar soll es ein Mann sein – wird es richten.

Er wird durchregieren, die Steuern senken, den unfähigen und korrupten Staat abbauen sowie die abgehobenen Bürokraten bändigen. Der starke Mann soll Ruhe und Ordnung durchsetzen, die Migranten abschrecken und die Nation wieder in ihr Recht setzen. Für Roger de Weck sind da lauter giftige Allheilmittel, verunglückte Rezepte und stumpfe Zauberformeln, die jedoch immer wieder ziehen. Das Betäubungsmittel Propaganda wirkt stärker, als liberale Geister es wahr haben wollen. Und reaktionäre „Vollstrecker des Volkswillens“ müssen die Propagandawalze auffahren, sonst sind sie verloren.

Die Neue Rechte beschwört die „Volksgemeinschaft“

In ihrem Streben liegt nämlich eine enorme Zumutung, die erst einmal breit beworben werden muss. Das Volk soll sein Schicksal in die Hand nehmen, indem es sich in die Hand des Anführers begibt, fügsam und biegsam. Nur in der Hingabe der Wähler an ihren Wahlmonarchen wird die Nation souverän. Ohne Daueragitation ist diese dreiste Botschaft schwerlich anzubringen. Sie fordert, in neurechter Dialektik, ein „rückschrittliches Voranschreiten“.

Aus Untertanen sollen sich wieder stolze Bürger entwickeln, indem sie sich dem starken Mann ergeben. Nur einer reaktionären Partei in Europa, der Alternative für Deutschland (AfD), fehlt vorerst eine solche Identifikationsfigur. Ebenso dialektisch beschwört die Neue Rechte die einmütige „Volksgemeinschaft“ – und spaltet die Gesellschaft. Sie polarisiert und bringt die Bürger gegeneinander auf. Aber in ihrer Vorstellungswelt scharen sich alle hinter der Führung: Prekariat und Plutokraten, die Klein- und die Großbürger. Quelle: „Die Kraft der Demokratie“ von Roger de Weck

Von Hans Klumbies