Arbeitnehmer brauchen ein einzigartiges Profil

Im System des singularisierten Arbeitens kann man einen Verlust der Bedeutung formaler Qualifikationen zugunsten dessen beobachten, was im spätmodernen Arbeitsdiskurs häufig als „Kompetenzen“ umschrieben wird. Andreas Reckwitz schränkt ein: „Sicherlich spielen formale Qualifikationen nach wie vor eine Rolle. Und bestimmte von ihnen – Hochschulreife, Studienabschluss – werden für viele Tätigkeiten in der Wissens- und Kulturökonomie erwartet.“ Jedoch sind sie zu einer lediglich notwendigen Bedingung mutiert, auf deren Grundlage eine erste Selektion stattfindet. Eine hinreichende Bedingung sind sie nicht. Denn den eigentlichen Unterschied für die Anstellung, den Status und den Erfolg macht die Besonderheit der informellen Kompetenzen des Einzelnen aus. Grundlegend ist die Annahme, dass die für die Projektarbeit eigentlich bedeutsamen Fähigkeiten über die formal attestierbaren Eigenschafen hinausgehen. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

Das Profil ist immer ein Produkt sozialer Zuschreibung

Dazu zählt Andreas Reckwitz etwa soziale oder emotionale Kompetenzen, zu der neben Kooperationsfähigkeit auch Begeisterungsfähigkeit für Neues gehört. Dazu gehört auch unternehmerische Kompetenz, das heißt ein Gespür für günstige Gelegenheiten und Chancenspekulation, oder kreative Kompetenz. Über allgemeine Schlüsselkompetenzen hinaus, wird vom einzelnen Arbeitnehmer auf der Kompetenzebene etwas Besonderes erwartet. Es muss ein einzigartiges Kompetenzbündel sein, das diverse wertvolle Fähigkeiten auf eine besondere Weise miteinander kombiniert. Mit anderen Worten: Er muss ein nicht austauschbares, sichtbares Profil entwickeln.

Das Profil im hier gemeinten, übertragenen Sinne bezeichnet so die einzigartige Kombination der verschiedenen Eigenschaften eines Individuums. Diese ergeben zugleich ein identifizierbares Ganzes. Also: Das Profil hat nach innen eine hohe Eigenkomplexität und sichert nach außen Andersheit und Unterscheidbarkeit – es enthält damit die Merkmale des Singulären. Das Profil ist damit immer ein Produkt sozialer Zuschreibung. Und zwar sowohl der Fremd- als auch der Selbstzuschreibung. Damit es als singuläres anerkannt wird, müssen die Kompetenzen zwei gegenläufige Eigenschaften zugleich haben: Vielseitigkeit und Kohärenz.

Ein Mitarbeiter muss heutzutage vielseitig sein

Umgekehrt heißt dies für Andreas Reckwitz, dass ein Profil in der spätmodernen Arbeitswelt seine Entsingularisierung riskiert, wenn es entweder zu einseitig ist oder inkohärent. Vielseitigkeit ist eine zentrale Anforderung an die Kompetenzen des Arbeitnehmers. Und zugleich etwas, was er vor dem Hintergrund postmaterialistischer Werte, in denen sich Spuren der idealistischen ganzheitlichen Persönlichkeit finden, selbst schätzt und anstrebt. Vielseitigkeit bezieht gewissermaßen die Anforderung der Diversität, welche die Organisationskultur erhebt, auf die Binnenstruktur des Arbeitnehmers.

Der Arbeitnehmer muss mehr sein als ein Träger formaler Qualifikationen. Nämlich eine Bandbreite informeller Kompetenzen in sich aufnehmen. Daraus kann sich eine solche Vielseitigkeit ergeben. Nachteilig scheint umgekehrt, wenn der Mitarbeiter sich als eindimensional herausstellt. Wenn er dem industriegesellschaftlichen Modell des Arbeitnehmers folgte, würde er in eine Einseitigkeitsfalle tappen. Er erschiene dann als zwar formal qualifizierter, aber uninspirierter Fachidiot. Quelle: „Die singularisierte Gesellschaft“ von Andreas Reckwitz

Von Hans Klumbies