Der „Übermensch“ riskiert seinen eigenen Untergang

Die Welt existiert nur in Form von Interpretationen, die immer unter einem bestimmten Blickwinkel vorgenommen werden. Diese Ansicht bezeichnet man Friedrich Nietzsches „Perspektivismus“. Dieser Perspektivismus hat eine Ähnlichkeit mit einer erkenntnistheoretischen Strömung, die in etwa zur gleichen Zeit in Amerika Denker wie Charles Sanders Peirce und William James entwickeln. Dabei handelt es sich um den Pragmatismus, nach dem die Wahrheit das ist, was funktioniert. Doch für Friedrich Nietzsche ist das alles zu kleinkrämerisch. Seine Philosophie ist auf viel mehr aus als Selbsterhaltung. Ger Groot erklärt: „Wie Zarathustra wird der „Übermensch“ – der die Frucht dieses Abschieds von der Wahrheit ist – dazu bereit sein, für dieses „mehr“ möglicherweise sogar seinen eigenen Untergang zu riskieren.“ Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Zudem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

Die Machtausübung ist keiner Moral unterworfen

Das „mehr“ geht aus einem der am schwersten verständlichen Konzepte der späten Philosophie Friedrich Nietzsches hervor. Nämlich dem Willen zur Macht. In gewisser Weise ist dies die Fortführung von Arthur Schopenhauers Willensidee, von der Friedrich Nietzsche früher ausgegangen ist. Doch statt der Resignation, die bei Arthur Schopenhauer im Mittelpunkt stand, verkündet er nun einen begehrlichen Willen. Dieser bejaht und ergreift die Welt, will sie vereinnahmen und zu seiner eigenen Welt machen. Unter anderem mittels perspektivischer Interpretation.

Die Welt ist also nicht nur eine dynamische Totalität von Veränderung. Sondern sie ist auch von einem Streben nach Geltung und Macht durchdrungen. Dieser Gedanke bildet die Grundlage für eines der berüchtigsten Werke Friedrich Nietzsches, die 1887 verfasste „Genealogie der Moral“. Darin beschreibt er den Menschen als ein Wesen, für das die Eroberung und die Ausübung von Macht im Mittelpunkt steht. Diese Machtausübung ist keiner Moral unterworfen.

Der Mächtige und Starke ist nicht unmoralisch

Ger Groot erläutert: „Im Prinzip legt sich der Starke und Mächtige selbst keinerlei Beschränkungen auf. Er ist amoralisch, was nicht bedeutet, dass er unmoralisch ist, so Friedrich Nietzsche.“ Er hat schlicht und einfach keine Moral, weil er nur in Übereinstimmung mit seiner Natur handelt, so wie es auch ein Raubtier tut. Der mächtige Mensch ist der unschuldige Mensch schlechthin. Er lebt nach dem Naturgesetz des Werdens – und auch das Werden ist unschuldig.

Schuld wird laut Friedrich Nietzsche erst von jenen in die Welt gebracht, die nicht dazu in der Lage sind, ihren Willen zu realisieren. Daher unterwerfen sie die Starken. Sie sind es, welche die Realität der Natur nicht akzeptieren und die Starken ihrer eigenen Schwäche unterordnen wollen. Deshalb rufen sie die Idee moralischer Verbote ins Leben, welche die Gestalt jüdisch-christlicher und modern-humanistischer Moral annehmen. Mit ihrem Respekt vor dem Leben und vor dem anderen, mit ihrem Hang zum Mitleid und mit etwas, was sie „Gerechtigkeit“ nennen. Quelle: „Und überall Philosophie“ von Ger Groot

Von Hans Klumbies