Die Aufklärer sahen den Mensch als Teil der Natur

Der englische Philosoph Jeremy Bentham konnte die Welt und den Menschen nur noch rationalistisch und zweckorientiert begreifen. Für Philipp Blom war der verbohrte Aufklärer dadurch grandios unmenschlich. Die Romantik rebellierte gegen solche Vorstellungen. Sie wollte die Natur nicht nur als Materialsammlung für Wertsteigerung und Profit begreifen. Sie sprach ihr eine eigene raunende Stimme zu. Philipp Blom stellt fest: „Dieser Kontrast zwischen taghellem Rationalismus und dämmriger Romantik ist zweifellos übertrieben. Auch und gerade Aufklärer sahen schließlich den Menschen als Teil der Natur.“ Der Franzose Julien Offray de La Mettrie ging sogar so weit, den Menschen selbst als natürliche Maschine zu beschreiben. Nämlich als rein biologischen Mechanismus ohne Ziel und Zweck. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford.

Alles ist mit allem verbunden

Dies war einer der großen Gewissenskonflikte vieler denkender Menschen, von Baruch de Spinoza bis Friedrich Nietzsche. Wenn alles Natur ist, was ist der Mensch dann? Es ist auch der mächtigste Gedanke, den die Kultur der Gegenwart nur sehr oberflächlich absorbiert hat. Wiederum ist es entscheidend, in welche Bilder man diese Gedanken kleidet. Bruno Latour schlägt eine Präzisierung vor, um den Zusammenhang zwischen Mensch und Natur aus einer anderen Perspektive zu fassen. Die Idee, dass Menschen „auf der Erde“ leben, ist ein Fehler, argumentiert er.

Alle Organismen, von Einzellern bis zu Menschen, sind Bewohner derselben kritischen Zone. Einer dünnen, leicht zerreißbaren Membran zwischen der toten Tiefe des Gesteins unter ihren Füßen und der unendlichen Leere des Alls über ihren Köpfen. Diese fragile Schicht verfügt über eine Atmosphäre und Sauerstoff, innerhalb deren Leben möglich ist. In dieser kritischen Zone ist wie in einem unendlich komplexen Mobile alles mit allem verbunden. Jede Handlung wirkt auf zahllose Weisen und an zahllosen Orten nach.

Homo sapiens lebt mit zahllosen Organismen zusammen

Dabei sind Menschen nur einer unter den Akteuren, und auch sie agieren auf unterschiedlichen Ebenen und auf häufig widersprüchliche Weise. Philipp Blom erläutert: „Das Leben und Überleben von Homo sapiens formt einen winzigen, aber wirkmächtigen Teil eines unendlich komplexen Netzwerks gegenseitiger Abhängigkeiten und unvorhersehbarer Konsequenzen.“ Der autonom handelnde Mensch, die Krone der Schöpfung, der die Welt unter sein Knie zwingt, ist eine Geschichte, die ängstliche Geister sich erzählen.

Homo sapiens ist ein integraler Bestandteil der kritischen Zone. Er lebt symbiotisch mit zahllosen Organismen zusammen und ist ein Glied der Evolutionsgeschichte. Daneben ist er ein Katalog von evolutionären Wundern, Irrtümern und Redundanzen. Zudem ist er tief durch soziale Kontakte, Erinnerungen, Geschichten und Praktiken vernetzt. Das ist das, was man „Identität“ nennt. Der Mensch ist einfach ein Punkt in dieser Matrix, in einer Serie von Positionen auf dem Kontinuum der Möglichkeiten. Quelle: „Das große Welttheater“ von Philipp Blom

Von Hans Klumbies