Das Gehirn besitzt 86 Milliarden Nervenzellen

Es mag naheliegen, die Vergrößerung seines Gehirns mit er Lebensweise des Menschen und seinen besonderen Fertigkeiten und Fähigkeiten zu verknüpfen. Und so ist auch vielfach ein Zusammenhang insbesondere mit der Ernährung, mit der Handfertigkeit, mit Werkzeuggebrauch, Sprache, Kultur und Kunst vermutet worden. Matthias Glaubrecht betont: „Und doch ist bislang nicht überzeugend geklärt, was wirklich das Gehirn zu einem solch besonderen Organ beim Menschen gemacht hat.“ Zugleich gehört es zweifelsohne zu den erstaunlichsten Paradoxien in der Natur, dass ausgerechnet Menschen als an sich anderweitig unspezialisierte Generalisten ein sehr spezielles Organ spazieren tragen. Da es in energetischer Hinsicht alles andere als verbrauchsneutral kam, muss das menschliche Gehirn einen hohen Auslesewert gehabt haben. Immerhin dienen in ihm heute 86 Milliarden Nervenzellen der Weiterleitung und Verarbeitung von Reizen. Matthias Glaubrecht ist Evolutionsbiologe, Systematiker und Wissenschaftshistoriker.

Mit dem Gehirn begreift der Mensch die Welt

Es ist eine hochkomplexe Steuerzentrale, nicht nur um eine Vielzahl von Sinneseindrücken zu vergleichen, sondern auch um wichtige Informationen zu speichern und Denkaufgaben zu verrichten. Und doch erscheint dieses Denkorgan gleichsam als nette Zusatzausstattung. Diese tauchte eines Tages im Menü der Evolution bei einem Wesen auf, das dadurch in der Lage war, die Welt zu begreifen. Matthias Glaubrecht stellt fest: „Keine Frage: Wir sind ein höchst merkwürdiges, ein höchst bemerkenswertes Tier.“

Nach Lage der Dinge handelt es sich beim Menschen um eine singuläre Erscheinung. Und dies sicherlich nicht zuletzt, weil er etwas hat, was man mit „Geist“ und „Ratio“ in Begriffe zu fassen versucht. Einerseits ergab die Suche nach Besonderheiten der Menschen, dass sie nur wenige wirkliche Alleinstellungsmerkmale im Bereich des Biologischen haben. Etwa den aufrechten Gang mit all seinen körperbaulichen Anpassungen. Oder eben das Gehirn, das den Menschen zweifellos zu etwas Besonderem macht.

Allein der Mensch verfügt über Vernunft und Ratio

Nur er hat ein in dieser Weise entwickeltes bewusstes Innenleben, egal ob man es Geist oder Seele nennt. Nur er verfügt über Vernunft und Ratio, Sprache und Kultur. Als Zweibeiner und Kulturwesen hat der Mensch sich dadurch scheinbar derart weit vom Tierreich entfernt, dass seine Sonderstellung lange gerechtfertigt erschien. Erst sein Geist und die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis haben den Menschen über seine tierischen Vorfahren hinausgehoben. Und durch das hat der Homo sapiens sich zu dem entwickelt, was er heute ist.

Noch Jahrhunderte später erinnert man sich an die zentrale Einsicht von René Descartes: „cogito ergo sum“. Matthias Glaubrecht ergänzt: „Nur der Mensch besitzt angeblich diesen zur Selbsterkenntnis befähigten Geist. Die übrigen Tiere lediglich einen Körper, so der schier unerschütterliche Glaube vieler Menschen an sich selbst.“ Indes erwies sich die Klärung der Frage, was den Menschen vom Tier unterscheidet, insgesamt als ein Rückzugsgefecht, je mehr die Verhaltensforschung über andere Tiere herausfand. Quelle: „Das Ende der Evolution“ von Matthias Glaubrecht

Von Hans Klumbies