Die Zeit ist immer da

Zeit kann man weder sehen noch hören, weder schmecken, riechen noch fühlen. Sie ist immer da, mit uns, ohne uns und ist in das Leben der Menschen und in die Natur eingebunden. Nämlich als Wechsel, Rhythmus, Zyklus. Daniel Goeudevert ergänzt: „Tag und Nacht, Aussaat und Ernte, Ebbe und Flut, Frühling, Sommer, Herbst und Winter bestimmen das Leben der Menschen über viele Jahrtausende.“ Zeit, das war für eine lange Phase der Menschheitsgeschichte vor allem das Wetter. Doch dann löste sich die Zeit aus allen Lebenswirklichkeiten heraus und begann unabhängig von aller Natur zu ticken. Irgendwann im Verlaufe des 12. Jahrhunderts entstieg die Uhr aus dem Dunkel des Mittelalters. Daniel Goeudevert war Vorsitzender der deutschen Vorstände von Citroën, Renault und Ford sowie Mitglied des Konzernvorstands von VW.

Erst mit der Uhr kommt der Fortschritt in die Welt

Die Geschichte der Uhr ist von eher märchenhaften Gepräge, ihre Herkunft und Urheberschaft sind legendenumrankt, aber letztlich ungewiss. Die „Uhrzeit“ ist eine Erfindung, deren Zustandekommen nie ganz aufgeklärt werden konnte. Und das ist für Daniel Goeudevert schon erstaunlich, denn die Auswirkungen dieses neuartigen Räderwerkautomaten sind grundstürzend. Das Aufkommen der mechanischen Uhr markiert in einem überaus präzisen, greifbaren Sinn den Beginn einer neuen Zeit, der Neuzeit.

Das Zerlegen der Zeit in messbare Einheiten sowie die Vorstellung eines zeitlichen Fortschreitens, erlaubt ein Unterscheiden von einem Vorher von einem Nachher. Das sind gedankliche Operationen, die tatsächlich einen Zeitriss darstellen, der das Denken aus den Bahnen der Antike und letztlich auch des Christentums herauskatapultierte. Erst mit der Uhr kommen sowohl die Idee eines souveränen Subjekts als auch die Idee des Fortschritts in die Welt. Eine Revolution der Zeit überführte das zuvor eher ungenaue, flüssige Zeitmaß ins Innere eines Räderwerks.

Das irdische Leben war im Mittelalter oft ein Jammertal

Daniel Goeudevert stellt fest: „Der Tagesrhythmus löst sich von den Jahreszeiten ab, wenn der Wecker stets zur gleichen Uhrzeit schrillt.“ Das mag harmlos klingen, hatte aber tatsächlich massive gesellschaftliche Veränderungen und Machtverschiebungen zur Folge. Diese waren über einige Jahrhunderte heftig umkämpft. Insbesondere der im Mittelalter mächtige Klerus sperrte sich lange und vehement gegen das neue mechanistische und materialistische Denken.

Denn das religiöse Zeitbewusstsein entsprach, vereinfacht gesagt, im Wesentlichen der natürlichen Zeit. Die Ordnung aller menschlichen und natürlichen Dinge war göttlichen Ursprungs und also perfekt, ohne jeden Makel. Ein Fortschritt, wie man ihn heute kennt – inklusive Wachstum und Beschleunigung –, war darin nicht vorgesehen. Das irdische Leben dürfte für die meisten Menschen im Mittelalter zwar ein Jammertal gewesen sein, es war aber vom Schöpfer so vorherbestimmt. Nämlich als Durchgangsstadium zur glückseligen Ewigkeit für die Gottesfürchtigen oder als Weg in die Verdammnis für alle gegen Gott Aufbegehrenden. Quelle: „Sackgasse“ von Daniel Goeudevert

Von Hans Klumbies