Edmund Husserl erschafft die Phänomenologie

Fast unmittelbar nach Immanuel Kant versuchen Philosophen Denken und Wirklichkeit wieder zusammenzubringen. Sei es nun durch eine „Phänomenologie des Geistes“ wie bei Hegel oder durch eine „Philosophie des Willens“ wie bei Arthur Schopenhauer. Ger Groot weiß: „Am Ende dieses Jahrhunderts gibt der Mathematiker und Philosoph Edmund Husserl dem Denken Immanuel Kants eine bedeutende Wendung. Auch Husserl geht davon aus, dass die primäre Gegebenheit unserer Erkenntnis darin besteht, dass uns die Dinge erscheinen.“ Sie sind Phänomene – daher der Name der philosophischen Schule, die er ins Leben ruft: Phänomenologie. Auf Basis dieser Feststellung geht er, ebenso wie Immanuel Kant, auf die Möglichkeitsbedingungen der Phänomene zurück. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Außerdem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

Die Psychologie spaltet sich von der Philosophie ab

Die Phänomene sind in erster Linie in der Struktur des Denkens selbst verankert. Diese Struktur geht allem Wissen und aller Wissenschaft voraus. Daher kann sie auch nicht auf eine wissenschaftliche Weise untersucht werden. Diesen Anspruch erhebt zwar die Psychologie, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts von der Philosophie abspaltet. Die Psychologie möchte sich zu einer selbstständigen, empirischen Wissenschaft entwickeln. Doch damit würde die Psychologie als Wissenschaft schon von dem ausgehen, was sie eigentlich erst untersuchen möchte.

Und weil die Psychologie als positivistische Wissenschaft nicht anerkennt, was sie nicht beobachten kann, muss das Rätsel um dessen Lösung es hier geht, für sie ein blinder Fleck bleiben. Allein eine reflexive Analyse der Möglichkeitsbedingungen von positiver Erkenntnis und Wissenschaft kann wirklich Aussicht auf „strenge Wissenschaftlichkeit“ bieten. Ger Groot stellt fest: „Gleichwohl versucht Husserl, den Fallstricken der Transzendentalphilosophie zu entkommen.“ Er möchte Mensch und Welt in Verbindung zueinander halten.

Das Bewusstsein orientiert sich immer nach außen

Edmund Husserl befreit das „Ich“ von seiner Scheu vor dem Fremden. Bewusstsein ist nicht immer nur Bewusstsein, sondern immer Bewusstsein von etwas, konstatiert er. Es ist auf das gereichtet, dessen es sich bewusst ist, es orientiert sich also immer nach außen. Ger Groot ergänzt: „Bewusstsein besteht in Form einer Intentionalität, die auf die Wirklichkeit gerichtet ist. Es ruht nicht in sich selbst, sondern ist bei den Dingen und streift durch die Welt.“ Besser gesagt: Bewusstsein formt die Begegnung zwischen dem „Ich“ und der Welt.

Und gerade in dieser Begegnung werden beide Wirklichkeit. Diese Sicht des Menschen ist neu und wird Jean-Paul Sartre tiefgreifend in seiner Beantwortung der Frage beeinflussen, was für ein Wesen der Mensch eigentlich ist. Und vor allem, was er sein sollte. Edmund Husserl hat in Freiburg gelehrt. Im Jahr 1928 folgt ihm dort sein Assistent Martin Heidegger nach. Mit dessen Schriften macht Jean-Paul Sartre später in Berlin Bekanntschaft. Bei seiner ersten philosophischen Publikation „Die Transzendenz des Ego“ von 1936 lässt sich Sartre jedoch vor allem von Husserl inspirieren. Quelle: „Und überall Philosophie“ von Ger Groot

Von Hans Klumbies