Die Kunst schweißt die Menschen zusammen

Kunst schafft Symbole und verwandelt so menschliche Gruppen in Überlebensmaschinen. Sie schweißt die Menschen zusammen. Stefan Klein erklärt: „Kunst wurde demnach umso bedeutender, je mehr Personen zusammenlebten. Zu Schmuckstücken umgewandelte Muscheln etwa können Status und Individualität signalisieren.“ Wenn nämlich Menschen geistig dazu imstande sind, in einem Gegenstand ein Zeichen für etwas ganz anderes zu sehen, hören die bemalten Muscheln auf, nur Kalkschalen von Weichtieren zu sein. Sie sind Zeichen für das Zusammenleben geworden. Solange die Menschen nur sehr wenige waren und kaum Austausch mit anderen pflegten, benötigten sie keine solchen Symbole. Niemand legt im engsten Familienkreis ein Collier an. Stefan Klein zählt zu den erfolgreichsten Wissenschaftsautoren der deutschen Sprache. Er studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg.

Symbole schaffen Mythen

Aber sobald die Gruppen größer und vielfältiger wurden, lohnte sich der Aufwand. Symbole schaffen Mythen, sie schweißen Menschen zusammen. Wie sich die Kunst mit den Formen der Gemeinschaft entwickelte, zeigt auch die prähistorische Felsmalerei der Ureinwohner Australiens. In den verschiedenen Teilen des Kontinents fanden die Aborigines sehr unterschiedliche Lebensbedingungen vor. In der glühenden Hitze des Landesinneren ernährt die Wüste auf riesigen Flächen nur wenige Menschen. Daher sin die Territorien der Stämme dort viel ausgedehnter als an den fruchtbaren Küsten.

Im extremen Klima, wo die Menschen wenige, weit verstreut und aufeinander angewiesen sind, verbindet sie ihre Symbolik. Stefan Klein erläutert: „Über Hunderten von Kilometern zeigen die Gravuren und Zeichnungen auf den Felsen immer wieder dieselben Motive. An den niederschlagsreichen Küsten jedoch lebten auf engem Raum Stämme nebeneinander, die Wert auf ihre Unterschiedlichkeit legten. Diese nutzten die Kunst zur Abgrenzung von ihren Nachbarn, weshalb hier ein großer Reichtum an Darstellungen zu bewundern ist.“

Die Himmelsscheibe von Nebra ist ein astronomisches Instrument

Die Menschen erfanden Symbole, um sich zu vereinen und voneinander abzusondern. Erst später erkannten sie den ganzen Wert dieser Zeichen als Instrumente des Denkens. Die Himmelsscheibe ist eines der rätselhaftesten Objekte, die man je in Deutschland entdeckte. Gefunden wurde sie am 4. Juli 1999 auf dem Mittelberg nahe der Kleinstadt Nebra. Die Scheibe ist kreisrund, flach und etwas größer als ein Essteller. Einseitig trägt sie goldene Applikationen.

Da schimmern goldene Punkte und Kreise in verschiedenen Größen. Es ist eine geriffelte Bogenlinie zu sehen, die an ein Boot denken lässt, und eine Sichel wie die des zunehmenden Mondes. Den rechten Rand der Scheibe ziert ein weiterer Goldbogen, ein Gegenstück am linken Rand war offenbar abgefallen. Als der Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Harald Meller, Fotos der Scheibe zu sehen bekam, erkannte er, dass es sich dabei höchstwahrscheinlich um astronomisches Instrument handelte. Quelle: „Wie wir die Welt verändern“ von Stefan Klein

Von Hans Klumbies