Im Zuhause verwirklicht sich der Mensch

Das neue Buch „Das Zuhause“ von Emanuele Coccia handelt von dem Ort, der für das menschliche Glück eine entscheidende Rolle spielt. Der Autor analysiert das Zuhause als einen Raum, in dem Menschen ihre Beziehung zu sich selbst und zur Welt verwirklichen. Emanuele Coccia schreibt: „Genau das ist ein Zuhause: der erste und niemals fertige Entwurf einer Überlappung unseres Glücks mit der Welt.“ Menschen sind Lebewesen, die alles um sich herum manipulieren und verändern müssen, um glücklich zu sein. Es genügt ihnen nicht, die Welt zu kennen und das moralische Gesetz in sich zu befolgen. „Zuhause“ ist für Emanuele Coccia nur ein Name für eine Ansammlung von Anpassungstechniken, die den Menschen helfen, auf der Erde zurechtzukommen. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

Die Liebe und die Psyche brauchen ein Zuhause

Seit jeher ist das Zuhause für Menschen ein privater Raum, der sie von anderen trennt und zu Individuen macht. Zudem ist es unmöglich, das Zuhause zu denken und zu erschaffen, ohne die Liebe zu denken und zu erschaffen. Denn die Liebe braucht ein Zuhause. Nämlich einen Ort, der einen Teil der Welt in sich aufsaugt und statt des Menschen „Ich“ sagt. Auch die Psyche braucht ein Zuhause, obwohl sie überall leben und sich frei zwischen Menschen und Dingen hin und her bewegen kann.

Kleidung und Zuhause dürfen laut Emanuele Coccia nicht getrennt voneinander betrachtet werden: „Kleidung ist ein ins Schaufenster gestelltes Zuhause, das seinen Inhalt der Außenwelt präsentiert.“ Und das Zuhause ist die Kleidung seiner Bewohner, ein Kleiderschrank ihrer Seelen. In diesem sind alle denkbaren Wandlungen ihres Selbst verstaut. Das Zuhause der Zukunft sollte für Emanuele Coccia die radikale Erweiterung einer Logik sein, wie sie Airbnb verkörpert. Mit anderen Worten, so wie seine Kleidung sollte man auch sein Zuhause zu jeder Jahreszeit wechseln.

Das Zuhause der Zukunft muss wandelbar sein

Emanuel Coccia betont: „Die Küche ist aus wenigstens zwei Gründen die transzendente Form der Beziehung einer jeden Wirklichkeit zur Welt.“ Beim Kochen werden nicht nur Pflanzen, Pilze oder Tiere geopfert, sondern auch und vor allem das eigene Ich. Nach dem Essen ist ein Mensch nicht mehr dieselbe Person und genau deshalb muss er essen. Nur in der Küche kann das Leben sich selbst begegnen. Nur hier kann es andere Lebensformen berühren. Obwohl die Küche erst sehr spät in die bürgerlichen Wohnungen Einzug gehalten hat, sollte sie das Zuhause ganz in Beschlag nehmen.

Im Schlusskapitel „Das neue Zuhause oder der Stein des Weisen“ weist Emanuele Coccia darauf hin, dass die Menschheit das Zeitalter des Steins und des Zuhauses keineswegs hinter sich lassen muss. Sie muss es nur feiner und flexibler gestalten. Der Autor fordert: „Wir müssen ein Zuhause ersinnen, das sich ebenso schnell verändern kann wie das Klima oder das Wetter.“ Das Zuhause der Zukunft muss eine kollektive Mischmaschine werden. In dieser verschmelzen Klassen, Identitäten, Völker und Kulturen miteinander.

Das Zuhause
Philosophie eines scheinbar vertrauten Ortes
Emanuele Coccia
Verlag: Hanser
Gebundene Ausgabe: 159 Seiten, Auflage: 2022
ISBN: 978-3-446-27420-0, 22,00 Euro

Von Hans Klumbies

1 Gedanke zu „Im Zuhause verwirklicht sich der Mensch“

  1. Ein sehr interessanter und eigenwilliger, für mich fremder Ansatz, das Zuhause zu sehen.
    Aber ich will darüber nachdenken…
    Als Mensch, der ich auf dem Lande aufgewachsen bin, bin ich sehr bodenständig , was heißt, dass ich möchte, dass ich in meinem Eigentum wohne, denn nur so kann ich es unbeeinflusst (ausgenommen des Partners) gestalten. Für mich gehört das mich umgebende Grün zwingend zu meinem Zuhause.
    Dorthin gehört meine Seele. Mein Zuhause zu wechseln wie ein Hemd: wo bleibt da die Beständigkeit, die Sicherheit gibt.
    Von meinem zuhause aus mache ich Reisen – kurze und lange – bin weg und lerne Anderes kennen. Dann zieht es mich wieder zurück. Würde mich interessieren, wie der Autor das Heimweh interpretiert. An sowas hat er wohl noch nie gedacht…

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