Momentan herrscht unter vielen Menschen die Hybris, alles kontrollieren und beherrschen zu wollen. Es herrscht ein Hang zur Vereinheitlichung, zur Vereindeutigung und zur Monokultur. Dies hat viel mit dem Verhältnis der Menschen zu Raum und Zeit zu tun. Daniel Goeudevert fügt hinzu: „Und dieses Verhältnis ist einem permanenten Wandel unterworfen, den wir selbst, nicht zuletzt eben durch die von uns geformten Werkzeugen, stets aufs Neue antreiben.“ Denn der Fortschritt, den die Menschheit anstrebt – und dann nicht selten beklagt – ist nicht nur ingeniöser, technischer Natur. Er macht etwas mit den Menschen, er prägt die Gesellschaft, die Politik und die Kultur. Die Menschen sind aufgefordert, sich diesen Prägungen bewusst zu werden und die eigenen Verantwortlichkeiten und Gestaltungsmacht besser zu erkennen. Daniel Goeudevert war Vorsitzender der deutschen Vorstände von Citroën, Renault und Ford sowie Mitglied des Konzernvorstands von VW.
Raum und Zeit begründeten eine übersichtliche Ordnung
Dagegen hilft es nichts, stets nur mit dem Finger auf andere zu zeigen: die Wirtschaft, die Politik, die Europäische Union. Über Jahrmillionen kam der Mensch nur so weit, wie ihn seine Füße trugen. Raum und Zeit begründeten eine übersichtliche Ordnung. Sie setzten dem menschlichen Streben, seinem Expansions- und Tatendrang natürliche Grenzen. Das war selbstverständlich nicht bloß idyllisch und ganz sicher nur selten vergnüglich. Die Menschen waren damals von Kälte und Hitze, Hunger und Durst, von Dreck und mangelnder Hygiene bedroht.
Das Leben konnte also schnell zu Ende sein. Aber sozusagen mental war das Setting klar: Raum und Zeit hatten im Vergleich zu heute ein denkbar einfaches, quasi natürliches Gepräge. Daniel Goeudevert erklärt: „Der zeitliche Rhythmus menschlichen Daseins wurde während der längsten Phase der Menschheitsgeschichte im Wesentlichen von der Sonne diktiert.“ Man lebte im Hier und Jetzt, ganz überwiegend von der Hand in den Mund und sorgte allenfalls für den nächsten Winter vor.
Die Dampfmaschine veränderte das Leben der Menschen
Man kümmerte sich um die eigenen Angelegenheiten und trotzte der Umwelt nur das ab, was zum unmittelbaren Überleben notwendig war. Von Wachstum im heutigen Sinne gab es damals keine Spur. Auch Fortschritt oder Beschleunigung waren gar nicht denkbar, es fehlte jedes zeitliche Maß dafür. Dann, plötzlich, passierte etwas, das alle Koordinaten verrückte und das Leben buchstäblich umkrempelte. Die Menschheit gewann durch ein neues revolutionäres Werkzeug einen unerhörten Zuwachs an Macht und Gestaltungsmöglichkeiten.
Es war die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von James Watt entscheidend verbesserte Dampfmaschine, die eine einschneidende Transformation der gesamten Lebensart der Menschen zur Folge hatte. Mit, wie man heute weiß, sehr vielen positiven, aber auch überaus negativen Auswirkungen. Die maschinell enorm gesteigerte Fähigkeit zur Erzeugung vielfach nutzbarer Energie konnte die Grenzen tierischer und menschlicher Muskelkraft und unvorstellbarem Ausmaß erweitern. Sie machte die Massenproduktion und den Massentransport erst möglich. Quelle: „Sackgasse“ von Daniel Goeudevert
Von Hans Klumbies