Minderheiten betreiben Identitätspolitik

Phillip Hübl stellt fest: „Als Angehörige von Minderheiten und diskriminierten Gruppen betreiben Menschen oft Identitätspolitik. Sie wollen dabei die Besonderheiten ihrer Gruppe gegenüber der Mehrheitsgesellschaft sichtbar machen.“ Die Grundidee dieser Selbstbehauptung ist nicht primär, dass sie die anderen als „gleichwertig“ akzeptieren. Sondern es geht vor allem darum als „anders“, also im gleichwertig im Anderssein anerkannt zu werden. Auch wenn der Name es nahezulegen scheint, geht es Identitätspolitikern nicht darum, was einen Menschen als Individuum einzigartig macht. Sondern es geht um das, was die besonderen Gruppen definiert, denen sie angehören. Während in den USA Weiße bis heute Afroamerikaner aufgrund ihrer Hautfarbe ausgrenzen, grenzen sich Afroamerikaner nun als Gegenstrategie selbst über ihre Hautfarbe von der weißen Mehrheit ab. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

Auch die Neuen Rechten wenden „Identitätspolitik“ an

Der Kampf der Minderheiten gilt offener Fremdenfeindlichkeit, aber auch Formen unbewusster und stillschweigender Abwertung durch sogenannte „Mikroaggressionen“. Darunter versteht Philipp Hübl Bemerkungen, die teils unbeabsichtigt auf einige ausgrenzend wirken. Der Ausdruck „Identitätspolitik“ umfasst inzwischen sogar die Strategie der Neuen Rechten, die sich ebenfalls als Minderheit und Opfer des Mainstreams darstellt. Die Gesellschaft in den USA ist stärker polarisiert als in den europäischen Ländern.

Besonders die europäische Linke hat die Identitätspolitik inzwischen von dort importiert. Aus dem Prinzip Fürsorge heraus setzen sich besonders radikal Linke für die Identitätspolitik von Minderheiten ein, auch wenn sie selbst nicht dazugehören. Ihnen stehen zwei Kritiker gegenüber: die Liberalen, die durch diese Form der Gruppenbildung die Freiheit in Gefahr sehen. Und die Konservativen, die Angst um die Tradition und die alten Hierarchien wie das Patriarchat oder die heterosexuelle Familie hat.

Man kann ganze Kulturen als schützenswert betrachten

Die klassische liberale Idee ist, alle Individuen in gleicher Weise als autonom aufzufassen, die klassische linke Idee, sich für die Schwachen einzusetzen. Die Identitätspolitik entwickelt aus diesen beiden progressiven Ideen eine neue Vorstellung. Nämlich ganze Kulturen als autonom und schützenswert zu betrachten, wobei nicht immer ganz klar ist, wie diese Gruppen zustande kommen. Überraschenderweise kann man einige frei wählen, weil sie sich über eine ethnische Essenz definieren.

„Frauen“ bilden eine große Gruppe, die der „Asian Americans“ ist kleiner und an der Ethnie festgemacht. Und die Gruppe der Missbrauchsopfer definiert sich über eine gemeinsame prägende Erfahrung. In einigen Fällen schlägt Identitätspolitik allerdings in Stammesdenken um, das eine deutliche Trennlinie zwischen Innengruppe und Außengruppe zieht. Philipp Hübl erläutert: „Nicht betroffene Unterstützer der Identitätspolitik sind durch Fürsorge motiviert, die zur Hyper-Fürsorge werden und in autoritäre Rechthaberei umkippen kann.“ Quelle: „Die aufgeregte Gesellschaft“ von Philipp Hübl

Von Hans Klumbies