Die Evolution verläuft unvorhersehbar

Die Geschichte der Menschen ist die einer Tierart, deren Ahnen einst auf Bäumen lebten. Diese stellte sich anschließend auf den Boden und hat sehr viel später großartige Kulturen hervorgebracht. Matthias Glaubrecht fügt hinzu: „Es ist die Geschichte des Aufstiegs eines tierischen Wesens aus den Anfängen in der Natur, das schließlich gelernt hat, diese Natur zu beherrschen.“ Dabei verlief die menschliche Evolution keineswegs derart linear und folgerichtig, wie sie rückblickend erscheinen mag. Sie führte zwar zu Vielfalt und Fülle, zu Kultur und Komplexität. Und doch darf man sie nicht als zielgerichtete Weiterentwicklung, als Fortschritt bezeichnen. Die Evolution verläuft unvorhersehbar, sie schlägt oft überraschende Wege ein. Das Erscheinen der menschlichen Spezies ist nicht der unvermeidliche Höhepunkt einer Entwicklung. Matthias Glaubrecht ist Evolutionsbiologe, Systematiker und Wissenschaftshistoriker.

Der Homo sapiens entstand in Afrika

Stattdessen liegen all den Errungenschaften der Menschen und der heutigen Zivilisation viele glückliche Zufälle zugrunde. Vor diesem Hintergrund ist auch der Mensch Teil des dynamischen Geschehens auf der Erde. Wo liegt der Anfang der Ahnengeschichte der Menschen, ab wann ist der Mensch wirklich ein Mensch? Matthias Glaubrecht stellt fest: „Vordergründig könnte es uns allein um die Geschichte des biologisch modernen Menschen Homo sapiens gehen. Jener Spezies, die vor 300.000 bis 500.000 Jahren auf dem afrikanischen Kontinent entstand und sich vor allem in ihrem Verhalten deutlich von ihren Vorfahren unterschied.

Doch auch die zuvor lebenden anderen, oft so genannten „prähistorischen“ Wesen sind nicht im eigentlichen Sinn vorgeschichtlich, so dass man sie hier vernachlässigen dürfte. Auch sie haben eine Naturgeschichte, welche die Forschung inzwischen immer besser rekonstruieren und mithin verstehen kann. Wenn man die Menschheit zeitlich umgrenzen will, dann darf man nicht nur auf die letzten Hunderttausende Jahre währenden Abschnitt schauen. Vielmehr muss man den Blick auf einen weiter entfernten Horizont richten.

Im Grunde gibt es eine Anfänge

Mit Anfängen hat es so seine ganz eigene Bewandtnis. Denn im Grunde gibt es sie gar nicht. Man kann über den Anfang von etwas nur nachdenken, weil es immer schon angefangen hat, meinte unlängst Jürgen Kaube in seinem Buch „Die Anfänge von allem“. In sogenannten kontingenten Zeitverläufen stellt man sich stets Anfänge vor, die aber gar keine waren. Schon Aristoteles wusste: „Ein Anfang ist, was selbst nicht mit Notwendigkeit auf etwas anderes folgt, nach dem jedoch natürlicherweise etwas anderes eintritt oder entsteht.“

Menschen sind verstrickt in Geschichten von den jeweiligen Anfängen. Sie begegnen in ihnen immerzu dem eigenen Denken. Jürgen Kaube schreibt: „Denn alles Neue geht aus etwas hervor, dem man nicht ansieht, dass es ein Übergang zu Neuem sein wird.“ Menschen setzen mit ihren Erzählungen die Anfänge erst, während die eigentlichen Anfänger von den Anfängen kaum etwas wussten. So haben gerade die wichtigsten Erfindungen der Menschheit keine Erfinder. Weder kennt man den ersten Menschen, der aufrecht ging, noch jenen, der ein Werkzeug herstellte, oder jenen, der das Feuer bändigte. Quelle: „Das Ende der Evolution“ von Matthias Glaubrecht

Von Hans Klumbies